Basale Stimulation
Basal: voraussetzungslos, vorbedingungslos,
Stimulation: Anregung; hier gezielte Wahrnehmungsförderung, v.a. der
Körpereigenwahmehmung (Körper-Ich)
Nach A. Fröhlich (Begründer, 1976) handelt es sich bei der Basalen Stimulation um ein Konzept systematischer individueller Anregung, Versorgung und Pflege mit dem Ziel, Entwicklungs- und Lernprozesse zu unterstützen. Es handelt sich um Methoden einer intensiven und ganzheitlichen Förderung von Menschen mit schwerster Behinderung.
Ziel:
Basale Stimulation will den Mangel an Eigenerfahrung, Eigenbewegung und
Auseinandersetzung mit der Umwelt durch entsprechende Stimulationsangebote
kompensieren.
Zielgruppe:
Entwickelt wurde das Konzept zunächst für Kinder und Jugendliche, die in
ihren motorischen, kommunikativen, sprachlichen, emotionalen, kognitiven und
sozialen Möglichkeiten stark beeinträchtigt und in der Regel lebenslang auf
Hilfe angewiesen sind. Diese Personengruppe ist darüber hinaus besonders
anfällig für Erkrankungen, die aufgrund der sehr eingeschränkten
Bewegungsfähigkeit auftreten können, z.B. Infekte der Atemwege und des
Mundraums, Pneumonie, Nieren- und Blasenerkrankungen, Verstopfung, Austrocknung
des Körpers, Dekubitus.
Das Konzept wurde fortlaufend weiterentwickelt und findet mittlerweile
Anwendung bei:
• erwachsenen Menschen mit schwerster Behinderung
• altersverwirrten Menschen
• Menschen mit apallischem Syndrom (Wachkoma)
• Frühgeborenen
Konkret bedürfen die o.g. Personen
• großer körperlicher Nähe, um direkte Erfahrungen machen und andere Menschen
wahrnehmen zu können
• anderer Menschen, die ihnen die Umwelt aufs einfachste nahebringen und ihnen
Lageveränderungen, Fortbewegung
und Raumerfahrungen ermöglichen
• Menschen, die die non-verbalen Signale der Betroffenen verstehen und darauf
angemessen reagieren können.
Während FRÖHLICH in den 80er Jahren v.a. den entwicklungsbezogenen Aspekt,
orientiert an der Normalentwicklung des Menschen, in den Mittelpunkt
seiner Arbeit stellte, berücksichtigt er seit Mitte der 90er Jahre verstärkt
biografische Aspekte. Somit wird der individuellen Lebenserfahrung auch in Bezug
auf die Förderangebote besondere Bedeutung
beigemessen.
Den Kategorien -> Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation als Grundlagen menschlicher Entwicklung kommt bei der Basalen Stimulation besondere Bedeutung zu.
Zitat Andreas Fröhlich:
"Wahrnehmung bedarf der Bewegung; Bewegung bedarf der sensorischen
Information, (d.h. der Wahrnehmung), und die sensorische Information wird
ihrerseits erst in kommunikativen Bezügen erworben."
Kernaussagen des Konzepts:
•
Mangelnde Stimulierung führt zu einem psychischen und somatischen Rückzug.
• Stimulierende Angebote können diesen Prozess unterbrechen.
• Die Angebote/Maßnahmen müssen gezielt und eindeutig sein.
• Alle Wahrnehmungsbereiche stehen für eine Stimulierung zur Verfügung.
• Es handelt sich um "integriertes Lernen" und Fördern, d.h. es muss ein
sinnvoller Bezug zum Leben/Alltag hergestellt
werden.
Vestibuläre Anregungen -> pränatale Erfahrungen
Umfassen rhythmisches Schwingen, Schaukelbewegungen, Auf- und Abbewegungen,
Drehbewegungen.
Medien:
- Schaukelwanne
- Hängematte
- Hängeschaukel
- Hängesack
- Rolle
Vibratorische Anregungen
Knüpfen ebenfalls an pränatale frühkindliche Erfahrungen an. Helfen in
besonderer Weise, das Skelett/Knochensystem (d. h. das Trägersystem des Körpers)
erfahrbar zu machen. Sowie den Muskeltonus zu normalisieren.
Medien:
- Manuelle Vibrationsangebote
- Vibrationskissen
- Massagegeräte
- Wasserbett
Vibration in Verbindung mit Musik:
- Holzschlaginstrumente
- Große Tonblöcke und Schlitztrommeln
Bewegungserfahrungen
Bewegungserfahrungen erfolgen als vibratorische Bewegungserfahrung (z.B.
Musikbett) und als Druck-und Bewegungserfahrung Das Spüren von Widerstand am
eigen Körper macht den eigenen Körper bewusster (flächige Berührungen mit der
ganzen Hand, nicht punktuell mit einzelnen Fingernom "Päckchen"
Mikrobewegungen
fördert eine sehr konzentrierte Aufmerksamkeit, verbunden mit einer
Normalisierung des Muskeltonus
Durchbewegen
v.a. das Prinzip der Symmetrie beachten
Intentionen
- Vermeidung von Kontrakturen
- Erhalt einer gewissen Bewegungsfähigkeit
- Aber vor allem eine gemeinsame Aktivität und Erfahrung von Nähe
Atemunterstützende Maßnahmen
Der Atemrhythmus gibt uns Auskunft über die Befindlichkeit des anderen Menschen
Bewegungen gegen den Atemrhythmus werden als disharmonisch und verunsichernd
erlebt
Grundsätze bei basalstimulierenden Angeboten:
• Basale Stimulation darf nicht "ausarten" in isoliertes Setzen von Reizen -->
Vorwurf der Be-Handlung und Passivität des
geförderten Menschen
• immer anknüpfen an vertraute und stabile Erfahrungen (egal, wie lange diese
zurückliegen)-> Bedeutung der Biographie!
• Bedeutung einer genauen Beobachtung
Grundprinzipien somatischer Anregung
Symmetrie
- unser Körper ist symmetrisch angelegt
- eine schwere (körperliche) Behinderung lässt dieses Symmetrieerleben nicht zu,
dies hat den Aufbau eines
unvollständigen Körperschemas zur Folge
- Ziel ist es daher, diese Symmetrie erlebbar zu machen.
-
ausgehend von der intakten Körperhälfte wird auch die andere Seite stimuliert
- das Erleben der Symmetrie ermöglicht das Erleben der Ganzheitlichkeit des
Körpers.
Spannung und Entspannung
- Spannung leitet Aktivitäten ein.
- Entspannung fördert Wachheit und Konzentrationsmöglichkeit.
- Der Wechsel zwischen beiden Zuständen hilft Bewegungen aufzubauen.
- Spannung und Entspannung können z.B. durch Lageveränderungen und
Bewegungserfahrungen herbeigeführt werden.
Rhythmisierung
- Gemeint ist insbesondere der biologische Rhythmus, insbesondere die Atmung.
- Menschen mit schwerer Behinderung haben oft eine arhythmische Atmung, geprägt
z.B. durch hektisches,
"ziehendes" Einatmen und kurzes Ausatmen.
- Ziel ist es, die Ausatmungsphase zu verlängern und die Intervalle zwischen
Ein- und Ausatmung gleichmäßiger
werden zu lassen sowie die Atmung zu vertiefen.
- Die manuelle Unterstützung kann, je nach individuellen Voraussetzungen des
Kindes, in verschiedenen Positionen
erfolgen.
Übungen im Bereich Basaler Stimulation nach A. Fröhlich
Vibratorische Anregungen
Atemunterstützung (Grundprinzip Rhythmisierung)
Viele Ausgangslagen sind möglich, abhängig von Klient/ln
Vorschlag Rückenlage:
Im Bereich des unteren Rippenbogens sehr genau in den Atemrhythmus des betreuten
Menschen einfühlen
Leichten bis mittleren Druck in Ausatmungsphasen auf unteren Rippenbogen ausüben
(ca.20x)
Anschließend in der jeweiligen Ausatmungsphase leichte, aber schnelle Vibration
über Hände ausüben
Bei vibratorischen Anregungen von körperfern nach körpernah arbeiten !
Ziele: Einatmung vertiefen; Ausatmungsphase durch Vibration verlängern,
muskuläre Spannungen im Brustkorbbereich lockern; Intervalle zw. Ein- und
Ausatmung angleichen, Wachheit und Aufmerksamkeitsspanne erhöhen
Somatische Anregungen (nicht unmittelbar
nach dem Essenl)
Rückenlage: ausstreichen mit beiden Händen (Grundprinzip Symmetrie) von der
Körpermitte über Rippenbögen nach außen (hier gilt: von körpernah zu körperfern)
ca. 15x
Anschließend Diagonale von Flanke über Brust zur Schulter abwechselnd je 15x mit
festen streichenden Bewegungen, nicht schneller werden, nur intensiver
Ziele:
durch Kreuzen der "Linien" in der Mitte wird dem Rumpf eine sehr intensive
Spürerfahrung vermittelt, die Schultern signalisieren das "Körperende" ;
hilfreich für Entwicklung des eigenen Körper-Ichs, Körperschema
Mit gleicher Zielsetzung werden in der RL die Extremitäten "edebbar" gemacht
Arme/Hände
Die eigene li Hand hält den li Arm des Betreuten am Handgelenk, etwas nach oben
gestreckt; mit der eigenen re Hand wird über Nacken, Schulter, Oberarm,
Ellbogen, Unterarm bis zum Handgelenk ausgestrichen, wobei es wichtig ist, einen
"umfassenden" Eindruck zu vermitteln; dieser Kontakt regt die Haut sowie die
Tiefensensibilität von Arm und Hand intensiv an und entspricht einem
Nachvollzug der Entwicklung von körpernah zu körperfern
Anschließend wechseln wir und halten mit unserer re Hand den Arm des Betreuten
und vollführen die gleichen Bewegungen mit unserer li Hand; erst danach wechseln
wir den Arm des Kindes und verfahren in gleicher Weise
Danach fassen wir die Handgelenke des Betreuten mit sicherem festen Griff und
streichen mit dem eigenen Daumen über die Handinnenflächen zu den Fingern;
teilweise gelingt es darüber, eine spastische Hand annähernd zu öffnen
Beine/Füße
Das re Bein des Betreuten wird in die Höhe gehalten, bei Kindern bietet es sich
an , das Bein auf die eigenen Schulter zu legen.
Mit den eigenen Händen wird der Oberschenkel des Betreuten umfasst und über
festen, umschließenden Griff nach unten über Knie und Unterschenkel zu den Füßen
hin gearbeitet; die Fußgelenke werden besonders intensiv massiert mit kreisenden
Bewegungen, die einzelnen Zehen werden ausgestrichen
Anschließend wird zum anderen Bein gewechselt
Zusätzlich können leichte kreisende Bewegungen (Mikrobewegungen) an den Gelenken
(v.a. Füße und Hände) ausgeübt werden.
Bauch
RL:mit flachen Händen abwechselnd von unteren Rippenbögen hin zum Schambein
ausstreichen; zur Verstärkung Streichbewegung mit dem Unterarm durchführen;
Hände und Unterarm werden jeweils quer zur Bewegungsrichtung gehalten
(Fingerspitzendruck wird dadurch vermindert)
Rücken
Bauchlage, bei kleinen Kindern evt. über die eigenen Beine legen
Gleichzeitig mit beiden Händen in entgegengesetzter Richtung den Rücken
"bearbeiten", d.h. eine Hand beginnt an der und zugewandten Flanke zur
entgegengesetzten, die andere von der uns abgewandten Flanke zur zugewandten
Zunächst nur an der eigentlichen Rückenpartie, anschließend am Nacken beginnend
über Rücken zum Po und wieder zurück
Wirbelsäule
Mit beiden Händen gleichzeitig ruhiges und langsames Streichen mit mäßigem Druck
entlang der Wirbelsäule (niemals auf ihr!!!), dabei den Handballen einsetzen,
die zur Flanke gerichteten Finger berühren den Rücken
Diese Längsbewegung kann über den Po hinaus über die Beine hin zu den Füßen
verlängert werden;
Berührungen im
Gesicht
Der Gesichtsbereich ist äußerst sensibel (zur Erinnerung Homunculus-Männlein),
aber auch äußerst wichtig; jeder Mensch hat in diesem Bereich bereits viele ( :
;positive und negative) Erfahrungen gemacht
Betreute Person befindet sich in Rückenlage, HEP am Kopfende; mit beiden Händen
wird der hintere Wangenbereich mit mäßigem Druck berührt und das Gesicht
umfasst;
anschließend werden auch Stimbereich, Augenpartie, Nase und Wangen
eingeschlossen in Abhängigkeit der Toleranz durch Kind/Erwachsenen; die
Berührung des Mundes erfordert ein besonderes Vertrauensverhältnis Berührungen
im Gesicht können später auch vor Essenssituationen durchgeführt werden, um auf
die Nahrungsaufnahme vorzubereiten
Ziele: ausgeglichenerer Muskeltonus und verbesserte Selbstwahrnehmung
Mikrobewegungen
am Kopf
Gleiche Ausgangssituation wie eben; die Hände bilden eine Schale, in der der
Kopf des Betreuten sicher ruht (bei Erwachsenem zw. 5- 7 Kg!), wobei die Ohren
nicht umfasst werden;
Der Kopf wird anschließend leicht angehoben und geringer!!! Zug auf den Hals
ausgeübt, bis Widerstand spürbar ist, dann Kopf wieder in gerade Position
bringen und ablegen (3-5x); anschließend wird der Kopf bei gleicher Ausgangslage
in angehobenem Zustand leicht horizontal hin- und herbewegt/gedreht;
Verstärkung des Eindrucks durch Tuch möglich
Die somatische Anregung kann mit Hilfe unterschiedlicher Materialien weiter
ausdifferenziert und damit die Berührungsqualität intensiviert werden.
Es bieten sich an:
• Deutlich unterscheidbare Waschhandschuhe (z.B. aus Sisal und aus Frottee)
• Unterschiedliche Tücher, mit denen der ganze Arm / das ganze Bein oder der Fuß
umfasst werden, wobei die Hände
noch spürbar bleiben müssen (z.B. Frotteetücher, starke Baumwolltücher,
Seidentücher)--> Hautverträglichkeit beachten
• Felle, Leder
• Die Tücher können zusätzlich parfümiert werden, um olfaktorische Anreize zu
setzen, aber auch zum "Nachriecher" und
Erinnern der Situation; dazu bietet es sich an, für jeden Betreuten ein eigenes individuelles Anregungsset
zusammenzustellen (auch aus hygienisches Gründen)
• Abföhnen mit warmem Luftstrom
Alle Übungen verlangen Erfahrung, Feingefühl, Ernsthaftigkeit
und Respekt, da der betreute Mensch häufig wenig bekleidet ist. Dieser Umstand
spielt v.a. bei erwachsenen Menschen mit einer schweren Behinderung eine
erhebliche Rolle. Für viele Betreuende / HEPs ist es einfacher, viele dieser
Übungen bzw. Abläufe in Verbindung mit einer -> Ganzkörperwaschung
durchzuführen. Wichtig ist grundsätzlich das Nachspüren lassen!!!