DER ENTWICKLUNGSBERICHT
 

Entwicklungsberichte sind in der Regel Bestandsaufnahmen über die Entwicklung eines Menschen mit einer Behinderung in einem Zeitraum von einem halben oder einem ganzen Jahr. In der Regel werden"  sie von den Kostenträgern angefordert und von der Heimleitung verantwortet und abgegeben. Die Entwicklungsberichte sollen Veränderungen und individuelle Informationen über die aktuelle Lebenssituation der Person dokumentieren. In der Regel werden die Berichte von pädagogischen Fachkräften und insbesondere von den Heilerziehungspflegerinnen geschrieben. Das Erstellen von Entwicklungsberichten muß insofern kritisch in Frage gestellt werden, weil für die Kostenträger keine Entwicklung ersichtlich werden sollte oder dürfte, die eine Verringerung der Mittel zur Folge haben könnte. Die erst in den letzten zwei Jahren aufkommenden Qualitätssicherungsuntersuchungen und Qualitätsmeßsysteme könnten den notwendigen Hilfebedarf differenzierter darlegen, werden sich vermutlich aber auch erst etablieren können, wenn sichergestellt ist, daß damit keine „Mehrkosten" verbunden sind. Weil es in Entwicklungsberichten immer um die Beschreibung einer Person geht, ist die Gefahr der Stigmatisierung oder der Etikettierung im Sinne einer Fremdzuschreibung groß; hier sind besonders Formabweichungen zu nennen: „Hahn (1981) formuliert: Durch diese Prozesse (der Fremdzuschreibung, d.V) wird die Andersartigkeit von Eigenschaften und Verhaltensweisen festgelegt und Personen, denen dieses Etikett der Andersartigkeit zugeschrieben wird, den sozialen Kontrollmechanismen unterworfen.' Die Folgen sind fatal: Wer sich ständig als abhängig und negativ definiert erfährt, wird sich auf Dauer dies als Bild von sich selber zu eigen machen" (Krebs 1993, 295). Auch das Weglassen bestimmter Informationen kann natürlich einen Bericht verfälschen. Die Frage also, wem ein Entwicklungsbericht nützt, an wen er gerichtet ist und welche Einstellung, Motivation und Absicht der Berichtsschreiber hat, läßt an der Objektivität eines solchen Berichtes berechtigterweise zweifeln. „Beurteilen können wir erst, wenn wir mit bisher Bekanntem, Berichtetem, Gewohntem zu vergleichen vermögen. Doch genau da liegen Stolpersteine und Fallgruben. Perfekte Objektivität ist eine Illusion, eine höchst gefährliche dazu" (Krebs 1993, 296). Das Schreiben eines Entwicklungsberichtes erfordert viel Verantwortung von der Heilerziehungspflegerin und ein hohes Maß an Ausgewogenheit. Folgendes Schema soll einen Anhaltspunkt dafür geben, wie ein Entwicklungsbericht zu gestalten ist:
 

DER ENTWICKLUNGSBERICHT

 

(1) Einleitung
(a) Daten zur Person
(b) Bezugnahme auf den letzten Bericht.
(c) Seit wann ist die Person in der Einrichtung?
(d) Hinweis auf die Zusammenfassung im letzten Bericht (z. B. was ergaben die im letzten Bericht beschlossenen

        Maßnahmenund Ziele?).
 

(2) Körperlicher und gesundheitlicher Entwicklungsstand
(a) Alter, Größe, Gewicht, körperlicher Entwicklungsstand;
(b) gesundheitliche Verfassung;
(c) evtl. im Berichtszeitraum durchstandene Erkrankungen;
(d) ambulante Dienste oder spezielle Behandlungen, z. B. Krankengymnastik.


(3) Motorik (evtl. Verbindung zur Selbständigkeit)
(a) Grobmotorik;
(b) Feinmotorik;
(c) Ursachen der begrenzten motorischen Fähigkeit, z. B. Körperbehinderung, Nervosität usw.
 

(4) Kognitive Fähigkeiten
Wahrnehmungen, Situationsverständnis, Kommunikationskompetenzen, Merkfähigkeit, Leistungsvermögen (Schule und Wohnen), Sprache, Kulturtechniken.
 

(5) Emotionale Fähigkeiten
Grundstimmungen, Stimmungsschwankungen, Fähigkeit, verschiedene Gefühle ausdrücken zu können.


(6) Soziale Fähigkeiten
(a) Interaktionsverhalten in der Gruppe;
(b) Anerkennung der Gruppennormen, Umgang mit gesellschaftlichen Normen;
(c) Verantwortungsbereitschaft, Konfliktfähigkeit;
(d) Verhalten gegenüber Erwachsenen (bei Kindern), gegenüber Außenstehenden, gegenüber den Gruppenmitgliedern,

        gegenüber Fremden;
(e) Toleranzvermögen;
(f) Verhalten und Umgang in neuen und unbekannten Situationen.
 

(7) Selbständigkeit
(a) innerhalb des Lebens- bzw. des Gruppenalltags;
(b) außerhalb der Gruppe (z. B. Stadtbesuch, Botengänge, Straßenverkehr).


(8) Familiäre Beziehung / Elternarbeit
(a) Art und Intensität der Beziehungen des Kindes zu den Eltern, den Geschwistern und sonstigen Familienangehörigen;
(b) Form und Verlauf der Elternarbeit.
 

(9) Schule / Bildung / Förderung / Arbeit
 

(10) Freizeit / Hobbys
 

(11) Veränderungen auf der Gruppe, welche die Entwicklung prägten,

 z. B. neue Mitbewohner oder neue Mitarbeiter etc.
 

(12) Zusammenfassung / prognostische Aussagen
(a) Kurze Zusammenfassung der bedeutendsten Aspekte des Berichts;
(b) Aussagen zum weiteren Entwicklungsverlauf des Kindes:
        Wird das ursprüngliche Maßnahmeziel weiterverfolgt?

        Welche Korrekturen der Zielperspektive sind erforderlich?
 

Folgende Grundsätze gelten für das Erstellen eines Entwicklungsberichtes:


(1) Der Bericht soll ein Datum, einen Ausstellungsort und eine Unterschrift haben.
(2) Die Inhalte des Berichtes müssen den Tatsachen entsprechen, sie müssen also möglichst belegbar sein.
(3) Ein Entwicklungsbericht ist immer auf die Reduktion von Inhalten auf das Wesentliche angewiesen; diese Reduktion

        kann auf beiden Seiten ein verzerrtes Bild über die Person entstehen lassen. Für den Bericht ist es notwendig,

        wesentliche Aussagen komprimiert zusammenzufassen, ein kurzes Praxisbeispiel kann hilfreich sein.
(4) Lange Aneinanderreihungen von Einzelaspekten und von Fakten im chronologischen Ablauf können den Bericht unnötig

        verlängern und den Blick auf das Wesentliche verstellen.
(5) Der Bericht sollte möglichst sachlich, neutral und ausgewogen geschrieben werden; auf rhetorische "Klimmzüge" oder

        Verwendung des „Heimjargons" sollte verzichtet werden.
(6) Jedes Zitat muß als solches kenntlich sein.
(7) Alles, was im Bericht geschrieben wird, ist das Resultat von Beobachtungen und unterliegt damit auch direkt oder

        indirekt einer Bewertung. Es ist darauf zu achten, eigene Interpretationen oder Meinungen auch als solche zu

        kennzeichnen. Die Heilerziehungspflegerin sollte auch darauf achten, Sachverhalte nicht so darzustellen, daß ihre

        Interpretation die Leser indirekte Schlüsse ziehen läßt oder zu unzulässigen Verallgemeinerungen führt.
(8) Die Gefahr, daß der Bericht zu einer „Beschwerdeliste" oder, noch schlimmer, zu einer persönlichen Abrechnung wird,

        ist bei emotional belastenden Ereignissen durchaus gegeben. Hier kann es hilfreich sein, einige Zeit verstreichen zu

        lassen, bevor die notwendige Aktennotiz geschrieben wird. Gespräche mit Kollegen/-ginnen können auch sehr hilfreich

        sein.
9) Der Bericht oder Entwicklungsbericht kann nicht das Forum für die Selbstdarstellung eigener pädagogischer Leistungen

        sein; in diesem Zusammenhang sollte man auch auf „Spitzen", die sich gegen Kollegen/-ginnen oder Institutionen

        beziehen, verzichten.Krebs faßt die Kriterien für einen guten Entwicklungsbericht wie folgt zusammen: „Das

        Wesentliche wird wahrheitsgemäß berichtet, Verfälschungen durch Auslassungen oder zweckgerichtete

        Akzentuierungen sind unzulässig.
 

    (a) Einseitige Zuschreibungen sind zu vermeiden;
    (b) Was ausgesagt und gewertet wird kann begründet werden;
    (c) Das Bemühen um Verstehen ist erkennbar;
    (d) Die selbstkritische Reflexion des Berichtenden wird spürbar;
    (e) Beurteilen, wo erforderlich, - verurteilen niemals;
    (f) Die Sprache ist begrifflich und im Stil korrekt;


In einem Satz: "Der gute Bericht wahrt die Würde des anderen"  (Krebs 1993, 304f.).