Analyse des Förderschwerpunktes Handlungsfähigkeit

 

1. Zum Begriff

 

Def.: Handlung (Schulte-Peschel / Tödter 1996, 11)

„Die Verbindung zwischen dem Menschen und seiner dinglichen und personalen Umwelt ist das Handeln des Menschen. Es dreht sich hierbei nicht nur um äußere, beobachtbare Handlungsvollzüge, sondern auch um Denk-Handlungen.“

 

Def.: Handlungsfähigkeit (Schulte-Peschel / Tödter 1996, 21)

„... Kompetenz, sich mit der Umwelt auseinander zu setzen. Eine Handlung ist dann kompetent, wenn Menschen in realen Lebenssituationen interessengeleitet, zielgerichtet (vorausschauend), planvoll, bewusst, selbstständig und gemeinsam handeln.“

 

Ergänzend zu dieser Definition muss festgehalten werden, dass Kompetenz nach Klauß nicht nur die Befähigung, sondern auch Befugnis bedeutet: Jeder Mensch ist kompetent.

Er muss es nicht erst durch ein Funktionstraining werden, er ist berechtigt, zu leben., zu lernen und weitmöglichst über sich selbst zu bestimmen. Kompetenz bedarf keiner Voraussetzung, sie besteht apriori.

 

Handlungsfähigkeit

-         nach Aebli (aus handlungstheoretischer Sicht):

-         entwickeln sich Denkstrukturen aus verinnerlichten Handlungen

-         Nur aus dem praktischen Handeln und dem konkreten Sehen heraus können Ordnungsstrukturen entstehen, durch die Erkennen und Begreifen möglich sind.

 

Handlungsfähigkeit wird in der interaktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt erworben. Die Entwicklung der Handlungsfähigkeit geht Hand in Hand mit der kognitiven Entwicklung. Grundlage bei Piaget ist die Konzeption eines handelnden Subjektes, das aktiv in die Auseinandersetzung mir der Welt eintritt, diese Welt strukturiert und verändert und sich dabei selbst verändert und entwickelt. So ist die Handlung der zentrale Ansatzpunkt bei Piagets Untersuchungen zur Intelligenzentwicklung. Dabei bilden sich die Strukturelemente der Handlung in den Stufen der sensomotorischen Intelligenz heraus, Handlungsfähigkeit entwickelt sich analog der kognitiven Entwicklung.

Nach der Phase der Übung und Betätigung angeborener Schemata (Reflexe, bis zum 2. Lebensmonat) entwickeln sich aus Zufällen erste Gewohnheiten, neue Gegenstände werden in die Handlungsorientierung aufgenommen. Dies ist die Phase der primären Zirkulärreaktionen (2.-3. Lebensmonat).

In der Phase der sekundären Zirkulärreaktionen (3.-8. Lebensmonat) bildet sich das Strukturelement der Handlungskompetenz; das Kind hantiert mit Gegenständen.

In der Phase der Koordination der sekundären Zirkulärreaktionen (8.-12. Lebensmonat): Verknüpfung von Mittel und Zweck. Bekannte Schemata können auf neue Situationen angewandt werden, das Strukturelement der Handlungsplanung entwickelt sich.

In der Phase der tertiären Zirkulärreaktionen (12.-18. Lebensmonat): Bekannte Schemata können variiert werden und der Kreis von Handlungsorientierung, Handlungsplanung, Handlungsausführung und Handlungskompetenz schließt sich.

Im Alter von 18 – 24 Monaten können neue Mittel durch geistige Kombination erfunden werden. (vgl. Schulte-Peschel/Tödter 1996, 32ff)

 

Nach Piaget (1976) (aus entwicklungspsychologischer Sicht):

An jeder Handlung sind neben kognitiven Komponenten aber auch motivationale (z.B. Erfolgszuversicht und Anstrengungsbereitschaft) und emotionale Bedingungen (z.B. Misserfolgserlebnisse) beteiligt.

Außerdem spielen grundlegende Konzepte und Strategien, die aus Erfahrungen, Kenntnissen, Interessen gebildet werden sowie motorische Fertigkeiten eine große Rolle.

 

 

 

2. Teilkompetenzen der Handlungsfähigkeit

 

Die Handlungsfähigkeit setzt sich aus verschiedenen Teilkompetenzen (sogenannten Handlungselemente) zusammen, die jede für sich eine Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit darstellen. Diese Teilkompetenzen ergeben als Handlungselemente in einem zeitlichen Nacheinander die Elemente einer Handlung (vgl. Schulte-Peschel/Tödter 1996, S. 22ff):

 

  1. Handlungsorientierung:

-         Geht jeder Handlung voraus

-         Entscheidend ist der Beschluss um aktiv zu werden (extrinsische oder intrinsische Motivation)

-         Absichten und grundsätzliche Entscheidungen bilden die Antriebskräfte für den weiteren Verlauf der Handlung

-         Daher ist die Vorbereitung der Lernaufgabe so bedeutsam

 

  1. Handlungsplanung

-         Abhängig von der Handlungsorientierung

-         Planung der einzelnen, konkreten Handlung

-         Je nach Planungskompetenz und Neuigkeit der Handlungsaufgabe sind eine Reihe von Handlungsplänen vorhanden und abrufbar, ansonsten ist eine intensive Handlungsplanung nötig

-         Fähigkeit wird im Lauf der kognitiven Entwicklung und der Entwicklung der Handlungskompetenz erworben und verbessert

-         Grundlage der Handlungskontrolle

 

  1. Handlungskontrolle

-         Sorgt dafür, das die Aufmerksamkeit auf den Handlungsgegenstand gerichtet bleibt, z.  B. emotionale Bewertung

-         Orientiert sich an eigenen Plänen oder an Rückmeldungen von außen

-         Fähigkeit zur Kontrolle eigener Handlungen wird im Verlauf der Kognitiven Entwicklung und der Entwicklung von Handlungskompetenz erworben

-         Erfahrungen und Handlungsbewertungen gehen immer auch in die Orientierungsgrundlage zukünftiger Handlungen ein. Wird diese dadurch verändert, findet Lernen statt, ohne diesen Rückkoppelungsprozess ist Lernen nicht möglich (deshalb ist Zwischenreflexion wichtig).

 

  1. Handlungsausführung

-         Unterscheidung von zwei Fällen:

- Ausführung realisiert sich über die äußeren Einwirkungs- und

  Aufnahmemöglichkeiten, d. h. über Sprache, Bewegung, Hören Sehen =

  äußere, beobachtbare Handlungsvollzüge

- Die Ausführung realisiert sich im Inneren

3. Beobachtungskriterien / Diagnostik

 

Es ist schwierig, konkrete Beobachtungskriterien für eine Diagnose bezüglich des Entwicklungsstandes der Handlungsfähigkeit zu nennen. Zum einen setzt sich diese aus den oben beschriebenen Teilkompetenzen zusammen, zum anderen ist Handlungsfähigkeit ein kognitives Konstrukt, welches eigentlich nur in konkreten Handlungsvollzügen beobachtbar ist. Eine Möglichkeit der Beobachtung bietet die Orientierung an den unter Punkt zwei beschriebenen Teilkompetenzen.

 

 

4. Lern- und Fördermöglichkeiten unter fachrichtungsspezifischen Aspekten

 

Die Handlungsfähigkeit zur Bewältigung von Alltagsangforderungen kann als übergeordnetes Leitziel der Schule für Geistigbehinderte betrachtet werden, da sie Voraussetzung zur Verwirklichung von z.B. Normalisierung oder Selbstverwirklichung in sozialer Integration ist. Auch die lebenspraktischen Fähigkeiten, die immer wieder im Zentrum in der SfGb stehen verlangen nach Handlungsfähigkeit.

Betrachtet man geistige Behinderung als Folge der Wechselwirkung Hirnfunktionsstörung – Sozialisation / soziale Lebensbedingungen so ergeben sich daraus Einschränkungen der Handlungsfähigkeit:

-         Geringe kognitive Kapazität, daher mangelnde Planungsfähigkeit.

-         Stereotypien

-         Fixierung auf bestimmte Lernsituationen und Personen

-         Mangelnde Flexibilität

-         Mangelndes Selbstvertrauen

-         Mangelndes Zutrauen seitens der Eltern, Erzieher, Lehrer und Gesellschaft

 

Diese Einschränkungen der Handlungsfähigkeit führen zur Reduzierung von Handlungserfahrungen. Es ist daher Aufgabe der SfGb Lernangebote zu entwickeln, um mangelnde Handlungsmöglichkeiten auszugleichen.

Hier scheint handlungsorientiertes Lernen am sinnvollsten und wirksamsten:

-         Handlungsorientierter Unterricht bietet Möglichkeiten zur differenzierten und individualisierten Zielsetzung in einer heterogenen Lerngruppe

-         Lernen von Menschen mit einer geistigen Behinderung ist besonders abhängig vom praktischen Vollzug von Handlungen, Denkprozesse sind stark an wirkliche Abläufe gebunden.

-         Aktive Tätigkeit ist im Sinne der Aneignungstheorie Grundprinzip des Lernens: Lernen als Prozess, in dem durch praktische Tätigkeit innere Strukturen erworben werden, der Lernprozess verläuft vom äußeren Handeln zum gedanklichen Handeln.

 

Def.: Handlungsorientierter Unterricht (Meyer, 1994, 214):

„Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und Schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtprozesses leiten, so dass Kopf- und handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinandergebracht werden können.“

 

Wesentliche Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts:

-         Wirklichkeitsnahes Handeln in realen / realitätsnahen Situationen

-         Aufsuchen von Lernorten außerhalb der Schule

-         Aktivität / selbständiges Handeln der Schüler in möglichst vielen Phasen des Unterrichts

-         Aufgreifen von Lerngelegenheiten, die sich spontan bieten

-         Weitgehend offene Unterrichtsplanung und Organisation

-         Gemeinsames Lernen und kooperatives Handlen der Schüler

-         Fächerübergreifendes Lernen

 

5 Literatur

 

Klauß, Th. (1998). Handlungsorientierter Unterricht. In: ZfH 49 (4). 159-168.

Meyer, H. (1994). Unterrichtsmethoden 1. Frankfurt a. M.: Cornelsen Scriptor.

Mühl, H.

Schulte-Peschel, D.; Tödter, R. (1996). Einladung zum Lernen. Dortmund: Verlag Modernes Lernen.

 

6 Beispiele aus der Praxis

>werden noch nachgeliefert<