Förderschwerpunkt Lern- und Arbeitsverhalten

 

1          Teilkompetenzen des Förderschwerpunktes/Beobachtungskriterien

1.1          Lernbereitschaft

·        ohne ständige Abstöße lernwillig sein

·        nicht auf Druck von außen angewiesen sein

·        regelmäßig mitarbeiten

·        sich anregen lassen

·        sich für einzelne Sachen besonders interessieren

·        auch durch plötzliche Anforderungen belastbar sein

·        sich anstrengen

·        sich nicht entmutigen zu lassen

·        Aufgaben zügig erledigen

·        über längere Zeit konzentriert arbeiten können

·        sich nicht leicht ablenken lassen

·        Verbindlichkeit bestimmter Aufgaben akzeptieren

 

1.2          Produktivität / Flexibilität

·        Initiative und Eigentätigkeit entwickeln

·        häufig Vorschläge machen

·        viele Ideen hervorbringen, kreativ sein

·        unerwartete Anregungen geben

·        alternative Lösungswege finden und begründen

·        Veränderungen planen

·        Interessen und Wünsche anderer wahrnehmen und sie gemeinsam vertreten

·        im Rahmen von gegebenen Entscheidungsmöglichkeiten mitbestimmen

·        Verbesserungsvorschläge machen

·        sich durchsetzen können

·        sich selbst verteidigen können

·        sich in Aufgabenstellungen zurechtfinden

·        sich auf neue Aufgaben einstellen können

 

1.3          Exploration

·        häufig Fragen stellen, neugierig sein

·        Meinungen kritisch prüfen

·        über die Realität hinausdenken

 

1.4          Verläßlichkeit/Zuverlässigkeit

·        auf Anfragen richtige Auskunft geben

·        sein Arbeitsmaterial nicht vergessen

·        pünktlich sein

·        gewissenhaft, leserlich, übersichtlich arbeiten

·        verantwortungsbewußt gegenüber fremden und eigenen Sachen sein

·        Informationen richtig weitergeben

·        Aufträge ausführen können

·        Sich an Vereinbarungen halten

·        Hilfsbereit sein

·        Eigene Sachen verleihen

·        Bei Fehlern anderer nachsichtig sein

·        Durch rücksichtsvolles Verhalten die Freiräume der Mitschüler erweitern

·        Nicht nachtragend sein

·        Sich bei Erfüllung schulischer Anforderungen gegenseitig helfen

·        Gemeinsamen Besitz fair teilen

·        Übernommene Aufgaben durchhalten

·        Verantwortung übernehmen

·        Auf etwas verzichten können

·        Regeln aufstellen und vereinbarte Regeln einhalten

 

1.5          Konzentration

·        Aufgaben zügig und sorgfältig erledigen

·        Sich anstrengen

·        Ausdauernd belastbar sein

·        Über längere Zeit konzentriert arbeiten können

·        Sich nicht leicht ablenken lassen

·        Sich Zeit zum nachdenken lassen

·        Mit Fragen zeigen, dass man überlegt hat

·        Kind fragt zuviel, gar nicht, unüberlegt, zusammenhangslos

·        Kind kann Fragen gezielt beantworten, antwortet spontan, Antworten werden durchdacht, Kind überlegt

·        Kind läßt sich Zeit beim Beantworten von Fragen, antwortet nicht übereilt

·        Kind arbeitet umsichtig, flüchtig, planlos, ohne Nachdenken, wenig zielstrebig

·        Kind bemerkt Veränderungen in der Aufgabenstellung

·        Kind achtet nicht auf Nebensächlichkeiten, übersieht nicht das Wesentliche

·        Kind ist fixiert auf Nebensächlichkeiten

·        Kind läßt sich nicht von Geräuschen ablenken

 

1.6          Frustrationstoleranz

·        Kind gibt nicht schnell auf, wenn Arbeitsziel nicht schnell oder mühelos erreicht wird

·        Kind ist bei Nichtgelingen nicht enttäuscht und lustlos

·        Einschränkungen durch Lerngruppen und notwendige Schulorganisation ertragen lernen

·        Zumutungen zurückweisen

·        Kritik und Argumenten zugänglich sein und akzeptieren

·        Eigenes Verhalten kontrollieren können

·        Auf Argumente eingehen

·        Kompromißbereit sein

·        Eigene Interessen für Gruppenziele zurückstecken können

 

1.7          Aufgabenverständnis

·        Kind versteht einfache Anweisungen

·        Kind versteht komplexere Anweisungen

·        Kind benötigt bei Anweisungen besondere Hilfen, welche?

·        Anweisungen, Aufträgen, Demonstrationen aufmerksam und interessiert folgen können

·        Sich durch an die Gruppe gerichtete Anweisungen persönlich angesprochen fühlen

·        Persönliche Ansprache für Arbeitsaufträge benötigen

·        Sich auf neue Aufgaben einstellen können

·        Sich in Aufgabenstellungen zurechtfinden

·        Andere die Arbeit  beginnen lassen, um dann Aufgabenstellung nachzuvollziehen

·        Voreiliger Arbeitsbeginn ohne vollständiges Aufgabenverständnis

·        Kind benötigt Zeit, um Aufgaben verstehen zu können

 

1.8          Selbstkonzept

·        Kind kann seine Leistung, Leistungsfähigkeit angemessen einschätzen

·        Kind vertraut auf seine Leistung, seinen Erfolg

·        Kind traut sich wenig, gar nichts zu, ist mißerfolgsorientiert

·        Selbstsicher arbeiten können

·        Anregungen aufnehmen und umsetzen

·        Sicher reagieren

·        Selbstbewußt auftreten

·        Arbeiten ohne ständiges Drängen zu Ende bringen

·        Planungsschritte selbst entwerfen

·        Sich selbst Wissen und Fertigkeiten aneignen

·        Sich selbst Ziele setzen

·        Arbeitsprozeß und Ergebnisse verantworten lernen

·        Entscheidungsfähig sein

·        Informationen einholen können

 

1.9          Arbeitsplanung

·        Planungsschritte entwerfen

·        Arbeitsplatz organisieren

·        Bereitlegen der Arbeitsmaterialien

·        planvoll und systematisch vorgehen

·        Gliederung des Arbeitsauftrages

·        Veränderungen planen

·        sich in Aufgabenstellungen zurechtfinden

·        zielgerichtet vorgehen

·        umsichtig vorgehen

·        Planung überblicken

·        Planung einhalten

1.10       Methodenkompetenz

·        nicht ständig auf Hilfe anderer angewiesen zu sein

·        unterschiedliche Arbeitsmethoden kennen und anwenden

·        Informationen einholen

·        Notwendigkeit von Hilfen erkennen und einholen

·        sich selbst Wissen und Fertigkeiten aneignen

·        eigene Arbeit kontrollieren und bewerten

·        Regeln aufstellen und einhalten

·        Entscheiden

·        Systematische Arbeitsteilung als notwendig erkennen und durchführen

·        Selbständiges Vorgehen

·        Eigene Grenzen erkennen

·        Hilfsmittel adäquat einsetzen

·         

 

2          Fachrichtungsspezifische Aspekte zum Lern- und Arbeitsverhalten (Gb)

2.1          Umfängliche und schwerwiegende Lernbeeinträchtigungen beschrieben mit folgenden Merkmalen

·        direkte Bezogenheit der Lerninteressen auf vitale Bedürfnisse

·        weitgehende Gebundenheit des Gelernten an die ursprüngliche Lernsituation

·        begrenzte Fähigkeit zur selbständigen Aufgabengliederung

·        geringe Spontaneität in Hinblick auf bestimmte Lernaufgaben

·        überwiegend handlungsbezogenes Lernen

·        extrem geringes Lerntempo

·        stark begrenzte Durchhaltefähigkeit im Lernprozeß

·        eingeschränkte Gedächtnisleistung

·        unzureichende sprachliche Aufnahme-, Verarbeitungs- und Darstellungsfähigkeit

 

2.2          Folgen für den Unterricht, die aus den Lernbeeinträchtigungen resultieren:

·        Arbeitsanweisungen in schriftlicher und graphischer Form nicht verstanden

·        das Niveau der Aufgabenstellungen in Hinblick auf angefertigte Denk- und Handlungsschritte ist zu anspruchsvoll

·        Lern- und Arbeitsmaterialien können unbekannte Bearbeitungs- bzw. Lösungsformen enthalten

·        der Lernprozeß kann nur ansatzweise kontrolliert werden

·        gering ausgeprägte Entscheidungskompetenzen bei Wahlsituationen

 

2.3          Sonderpädagogische Konsequenzen für den Unterricht

·        Vor- und Kleinstformen aller offener Lernsituationen ermöglichen

·        angemessene Wahlmöglichkeiten eröffnen

·        Lernprozesse, Lernstrategien und Lernergebnisse erarbeiten

·        Differenzierung der Aufgabenstellungen und auch mögliche Lösungsformen

·        Förderung der Selbständigkeit durch Planung und Realisierung möglicher Weiterführung des Unterrichts an bestimmten Nahtstellen

·        Planung und Realisierung  von Partner- und Gruppenarbeit unter dem Aspekt zunehmender Schwierigkeit der kooperativen Tätigkeit

·        Einübung unterschiedlicher Kontrollformen

 

Bemerkung: Die dargestellten Ausführungen beziehen sich nicht nur auf Menschen mit

                    geistiger Behinderung. Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben.

 

3          Praktische Umsetzungsmöglichkeiten des FÖSCH Lern- und Arbeitsverhalten

3.1          Unterrichtsmethodische Möglichkeiten zur Förderung des Lern- und Arbeitsverhaltens

Die genannten Teilaspekte des FÖSCH können u.E. am besten in Unterrichtsformen angesprochen werden, die den Schülern ein hohes Maß an Selbsttätigkeit ermöglichen und sie an Planung, Durchführung und Reflexion der Unterrichtsinhalte beteiligen.

Hier bieten sich ‚offene Unterrichtsformen’ an wie z.B. Handlungs- und Schülerorientierter Unterricht, projektorientierter Unterricht oder Freie Arbeit.

Ausgangspunkt dieser Unterrichtsformen sind die Lebenswirklichkeit und Interessen der Schüler. Auf diese Weise kann die für das Lernverhalten grundlegende Voraussetzung der Arbeitshaltung (z.B. Konzentration und Motivation) berücksichtigt werden.

Ansatzmöglichkeiten zur Förderung des Lern- und Arbeitsverhaltens von Schülern mit Schwerstbehinderung finden sich in Förderansätzen wie die Sensorische Integrationsbehandlung (J. Ayres), Basale Stimulation (A. Fröhlich), Basale Kommunikation (W. Mall), Körperzentrierte Interaktion (Rohmann/Hartmann) oder die Aufmerksamkeits- und Interaktionstherapie (Rohmann/Hartmann).

 

3.2          Exemplarische Beispiele aus der Praxis

„Auch heute dauert das Vorgespräch, das die Freiarbeit mit der Wahl des Materials,  der Sozialform und des Arbeitsplatzes einleitet, nicht lange: Hans und Anke haben bereits eine genaue Vorstellung von dem, was sie bearbeiten wollen. So lehnen sie die Anfrage von Peter, der ein Material gewählt hat, zu dem er einen Partner benötigt, entschieden ab. Peter kann Werner als Partner gewinnen. Susanne geht eigeninitiativ zum Regal, um zielstrebig ein Material zu greifen. Während die anderen Schüler bereits ihren Arbeitsplatz einrichten, "muß" sich Walter erst vor das Regal stellen und alle Angebote genau betrachten, um eine Entscheidung treffen zu können. Die Wahl des Arbeitsplatzes ist ganz selbstverständlich verlaufen, indem die Schüler eine Arbeitsnische oder ihren Sitzplatz belegen oder mit einem der in einem Teppichständer bereitgestellten kleinen Teppiche (70 x 120 ihren Arbeitsbereich auf dem Fußboden schaffen.

So vollzieht sich der Übergang vom Vorgespräch zur Arbeitsphase fließend. Nachdem alle Schüler außer Susanne sich in ihre Arbeit vertieft haben, setzt sich Frau Roos zu ihr hin, da Susanne für die Entfaltung von Eigenaktivität die räumliche Nähe einer Bezugsperson und manchmal auch die Berührung mit der Hand bedarf. Frau Köhnen beobachtet die Schüler, gibt Anke, die eine Idee entwickelt hat, ihre Arbeit zu erweitern, die dazu notwendigen Arbeitsmittel, regt Hans an, seine Vorgehensweise zu variieren und geht zu Werner und Peter, um diese im Flüsterton an eine der geltenden Arbeitsregeln zu erinnern.

Während die Arbeitsphase anfangs nur 10 Minuten dauerte und für alle nach einer Vorankündigung gleichzeitig endete, stehen den Schülern zur Zeit entsprechend ihrer gewachsenen Ausdauer 45 Minuten zur Verfügung.

Die Abschlussphase leitet jeder Schüler für sich selbst ein, indem der die Arbeit beendet, anhand der Selbstkontrolle überprüft und den Arbeitsplatz aufräumt. Während Anke und Hans noch weiter arbeiten, dokumentieren die anderen ihre Arbeit in ihrer Freiarbeitsmappe, indem sie ein entsprechendes Symbolkärtchen unter den jeweiligen Wochentag des Vordrucks kleben. Bei der Dokumentation benötigen Walter und Susanne Hilfe, da sie wie Peter, Anke und Hans auch das Datum eintragen möchten. Werner dokumentiert selbständig, indem er sich an der farbigen Markierung der Wochentage orientiert und auf das Datum verzichtet.

Während Walter und Susanne den noch Arbeitenden interessiert zuschauen, holt sich Peter etwas zu spielen und Werner beginnt mit seinem Tischdienst.

Da Hans und Anke bis zum Frühstück vertieft sind, findet das Nachgespräch während des Essens statt: Die Schüler zeigen oder berichten, was sie gearbeitet haben.“

[aus: Köhnen/Roos: Vorhabenorientierte Freiarbeit, Dortmund 1999, S. 17f]

 

 

 

 

Ablauf einer Unterrichtsstunde:

 

1.       Orientierung

·        sich einen Überblick über das Angebot verschaffen

·        sich (wenn möglich, anhand von Bildkarten) für eine Tätigkeit entscheiden

·        individuelle Hilfen: reduzierte Auswahl, individuelle Angebote, angepasste Abstraktionsstufen

       3.    die Entscheidung dokumentieren

 

2.       Planung

·        Handlungsziel festlegen

·        Tätigkeit vorbereiten

·        individuelle Hilfen: angepasste Handlungsebenen, individuelle Unterstützung

 

3.       Ausführung

·        einzeln oder in Kleingruppen

·        individuelle Hilfen: wie oben

 

4.       Kontrolle

·        selbständig oder von außen anhand des Handlungsziels

·        Vorstellen der Ergebnisse

 

5.       Aufräumen

[aus: Schulte-Peschel/Tödter: Einladung zum Lernen, Dortmund 1996, S. 94]

 

4          Literaturhinweise

Im Folgenden wird eine Auswahl an Literaturhilfen aufgeführt, die u.E. sehr praxisorientierte Anregungen für die Umsetzung im Unterricht geben:

 

Dank, S.: Individuelle Förderung Schwerstbehinderter, Dortmund 1996

Fischer, E.: Offener Unterricht in der Schule für Geistigbehinderte: Möglichkeiten und Grenzen, in: Lernen konkret

Gudjons, H.: Handlungsorientiert Lehren und Lernen, Bad Heibrunn 1992

Köhnen, M: Freiarbeit macht Spaß – Hinführungsmöglichkeiten, Materialien, Anregungen für die Unterrichtspraxis, Dortmund 1997 (aus der Reihe: Übungsreihen für Geistigbehinderte)

Hier findet sich v.a. ein ausführlicher Materialteil

Raeggel, M / Sackmann, Chr.: Freiarbeit mit Geistigbehinderten, Dortmund ²1998

Schimpke, U.: Förderschwerpunkt ‚Selbständiges Handeln’ – Analyse und Konkretisierung für den Unterricht, in: ZfH 5/1994, S. 318-326

Schulte-Peschel, D. / Tödter, R.: Einladung zum Lernen – Geistig behinderte Schüler entwickeln Handlungsfähigkeit in einem offenen Unterrichtskonzept, Dortmund 1996

Dieses Buch gibt eine theoretische Fundierung zur ‚Handlungsfähigkeit’ und skizziert die genannten Unterrichtsformen. Zu diesen finden sich ebenfalls weitere Literaturhinweise.

Staatsinstitut für Schülpädagogik und Bildungsforschung (ISB) (Hrsg.): Schritte ins Leben – Handreichung für Erziehung, Unterricht und Förderung schwer geistigbehinderter Schüler in handlungsorientierten und fachorientierten Lernbereichen, München 1993

 entstehen, als wäre sie die Lösung zur Förderung des Lern- und Arbeitsverhaltens.

Literatur zu Fösp aus dem Internet:

Keller, Gustav: Die Schule lehrt das Lernen. Anregungen und Anleitungen zur schulischen Lernförderung. In: Lernchancen 1 (1998), 3, 67-69.

Kretschmann, Rudolf / Dobrindt, Yvonne / Behring, Karin: Das Lernen lehren. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 48 (1997), 4, 134-151.

Krichbaum, Gabriele u. a.: Praxisbuch Grundschule. Braunschweig: Westermann Schulbuchverl., 1997, 125-133 (Kap. 'Die eigene Arbeit planen, überprüfen und revidieren können').

Nuding, Anton: Beurteilen durch Beobachten: pädagogische Diagnostik im Schulalltag. Baltmannsweiler: Schneider-Verl., 1997, 69-77 (Kap. 'Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten').

Sandfuchs, Uwe / v. Wedel-Wolff, Annegret: Arbeitstechniken in der Grundschule. In: Grundschule 30 (1998), 9, 8-9.

Schräder-Naef, Regula: Schüler lernen Lernen. Weinheim; Basel: Beltz Verl., 1996 (6. Aufl.).

Weigert, Hildegund / Weigert, Edgar: Schülerbeobachtung: ein pädagogischer Auftrag. Weinheim; Basel: Beltz Verl., 1993, 57-68 (Kap. 'Arbeitsverhalten'

Literatur aus dem Seminar: zum Teil ohne Angaben:

Bartnitzky, 1987;

Heuer,Gerd Ulrich: Beurteilen, beraten, Fördern. Dortmund 1997, 56-57

Schmidt u.a.: Förderschwerpunkte. In ZfH 7/95.

Vaupel,  1995

Ledl, Viktor: Kinder beobachten und fördern., 55..