Das Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

1          Ausführungen zum Bedingungsfeld

 

1.1       Die Einrichtung

 

1.2       Die Gruppe

 

2          Ausführungen zur Praktikumsaufgabe

 

2.1       Erklärung der Praktikumsaufgabe

 

2.2       Meine Tätigkeit   

 

2.3       Beispiel: Meine Beobachtungen der Besucher Frau H. und Herr G.

 

2.3.1    Frau H.

 

2.3.2    Herr G.

 

2.4       Reaktionen auf die Rückfälle in der Tagesstätte.

 

2.4.1    Beobachtung - Reaktionen auf eigenen Rückfall

 

2.4.2    Beobachtung - Reaktionen der Besucher auf Rückfall des Anderen

 

2.4.3    Beobachtung - Reaktionen des Personals auf die Rückfallsituation

 

2.4.4    Gespräche mit Personalmitgliedern zum Thema Rückfall

 

2.4.5    Zusammenfassung und Vorschläge

 

3.         Meine Reflektion

 

 

 

1          Ausführungen zum Bedingungsfeld

 

1.1       Die Einrichtung

 

Die Beschäftigungsstätte (Tagesstätte) für Alkoholabhängige „Sprungbrett“ liegt in der Crellestr. 26 in Berlin-Schöneberg. Der Träger ist die freigemeinnützige PBAM-Therapeutische Arbeitsgemeinschaft e.V.  Der Verein ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband LV Berlin e.V. und der Landesstelle gegen die Suchtgefahren e.V.  Die Tagestätte arbeitet in Verbindung mit dem Wohnverbund mit 14 (18) Plätzen für mehrfach geschädigte chronisch Alkoholkranke und ist vernetzt mit der Psychosozialen Beratungs- u. Behandlungsstelle in der Goebenstr. 8, die ebenso vom gleichen Verein geführt werden

 

Die Öffnungszeiten sind von Montags bis Freitags von 8.30 bis 16.00 Uhr sowie am Sonntag von 11.00 bis 15.00 Uhr. Die Tagestätte befindet sich in ehemaligen Ladenräumen und ist durch entsprechende Innenausstattung und Einrichtung auch für Rollstuhlfahrer gut geeignet. Sie liegt in einer Nebenstraße, ca. 5 Minuten von der Bushaltestelle und ca. 10 Minuten von der U-Bahn-Station (leider ohne Fahrstuhl) entfernt und somit gut erreichbar. Sie setzt sich zusammen aus zwei Ladenwohnungen in benachbarten Häusern, die durch den Hof verbunden sind. In einem befinden sich:  die Küche, 2 Tagesräume, ein kleines Büroraum sowie 2 Toiletten. In dem anderen befinden sich 2 Räume für die Ergotherapie und ein kleines Computer-Raum mit 3 Arbeitsplätzen, wo überwiegend  Gedächtnistraining mittels spezieller PC-Programme durchgeführt wird. Außerdem verfügt die Tagesstätte über mehrere Kellerräume, die als Lager, Holzwerkstatt und Fahrradwerkstatt genutzt werden. 

 

Im Tagesraum befindet sich neben angemessener Einrichtung (Tische und Stühle), einer Stereoanlage und des Fernsehers auch eine kleine Bibliothek mit Romanen und Fachbücher u.a. auch zum Thema Alkoholismus.  Die Tagesstätte ist in das soziale Umfeld gut eingebettet, es bestehen freundliche Kontakte zwischen den Besuchern der Tagestätte und benachbarten Mietern bzw. Ladenbesitzern, es werden sogar Gefälligkeiten ausgetauscht, wie z.B. Post oder Pakete entgegennehmen u.ä.

 

 

Die Tagesstätte versteht sich als Baustein der Pflicht Versorgung, so dass über die Aufnahme dort die „Steuerungsrunde/FaIIkonferenz be­treutes Wohnen und Tagesstätten" des Be­zirkes Schöneberg entscheidet sowie eine Befürwortung des Sozialpsychiatrischen Dien­stes vorliegen muss. Tagessatzfinanzierung erfolgt nach § 39/40 BSHG, unter Berücksichtigung sozialhilferechtlicher Bestimmungen, was konkret bedeuten kann, dass unter Umständen eine Eigenbeteilung erforderlich ist.

 

Die Tagesstätte bietet ein niedrigschwelliges Betreuungsangebot für mehrfach geschädigte chronisch Alkoholkranke an, die häufig eine Thematisierung ihrer Problematik ablehnen, die für Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und andere Hilfsangebote nicht erreichbar sind.  Gemeint sind „Drehtürpatienten" sowie die hospitalisierten Alkoholiker (in Heimen und Kliniken) oder institutionalisierten (in städtischen Wohnheimen und Obdachloseneinrichtungen). Die Besucher sollen selbständig Wege be­wältigen können, mit dem Ziel der Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben.

 

Die Tagesstätte ist eine das Leben begleitende, versorgende Einrichtung. Sie ist zwar keine therapeutische oder rehabilitative Ein­richtung, hat aber durchaus die Funktion einer "Clearingstelle" und bereitet z.B. zukünf­tige Rehabilitationen oder Therapien vor.

 

Der Besuch der Tagesstätte ist freiwillig, aber verbindlich und regelmäßig sowie längerfristig angelegt. Dabei will die Tagesstätte einen Teil der grundlegenden menschlichen Lebensbedürfnisse, d.h. nach Geborgenheit, nach sozialer Anerkennung und Hilfe und sozialen Kontakten erfüllen. Sie ermöglicht sinnvolle Beschäftigung und einen strukturierten Tagesablauf. Die Besucher der Tagesstätte sollen Handlungskompetenzen wieder erhalten und diese Kompetenzen nach Möglichkeit erweitern oder sogar neu erlan­gen. Leitgedanke der Tagesstätte ist, dass ihre Besucher wieder in die Gemeinde eingebun­den werden und Rückfälle verhindert werden.

 

 

Die Angebote der Tagesstätte sind auf Men­schen ausgerichtet, die längerfristiger - aber im Ausnahmefall auch kurzfristiger- vorüber­gehender Betreuung bedürfen, um am gesell­schaftlichen Leben teilnehmen und sich mit allem Lebensnotwendigen versorgen zu kön­nen. Jugendliche Alkoholkranke sowie Personen, bei denen ein Anfallsleiden, akute Psychosen, Suizidgefahr oder schwere aus­geprägte Psychosyndrome im Vordergrund sind, werden in die Tagesstätte nicht aufgenommen. Krankheitseinsicht und Gruppenfähigkeit sind erwünscht und werden gefördert.

 

Interessenten haben die Möglichkeit, einen oder mehrere Tage am Tagesstättenprogramm (nach Absprache) teilzu­nehmen, sich ausführlich beraten zu lassen, ohne sich gleich fest anzumelden. Da chro­nisch Alkoholkranke häufig in ihrer Beziehungsfähigkeit  stark beeinträchtigt sind, nehmen die Mitarbeiter der Tagesstätte Kontakte mit potentiel­len Besuchern auch außerhalb der Tagesstätte auf, um ihnen An­gebote nahe bringen sowie sie langsam (aus einem Heim oder einer Klinik) heraus ablösen und an die Tagesstätte heranführen.

 

Es werden die Bewältigung des Alltags, die Haushaltführung, günstiges Einkaufen, Speiseplan erstellen, kochen, putzen u.ä. gelernt. Ausflüge, Spiele, Kultur, Bewegung und Sport, Organisation von Hauspflege Soziale Beratung, Ämter­gänge, Hilfe bei Antragstellungen etc. werden ebenso angeboten und organisiert.

 

Inhalte des Betreuungsprogramms sind die Befähigung zur selbständigen, abstinenten, individuellen Alltagsbewältigung im Umgang mit grundlegenden Bedürfnissen der Körperpflege, der Ernährung, der Kleidung, der Gestaltung und Pflege des eigenen Zimmers, der Haushaltsführung bis hin zum angemessenen Umgang mit Geld, Mietverträgen, Behördengänge und sozialen Dienstleistungsangeboten.

 

Die Befähigung zum sozialen Kontakt mit der eigenen Familie, mit Verwandten, der Nachbarschaft, mit Freunden und Bekannten und zur Aufnahme und Stabilisierung von Beziehungen und Partnerschaften sollen u.a. durch Gruppengespräche und individuelle Gespräche realisiert.  Ebenso thematisiert sollen die Aufarbeitung und Verarbeitung der eigenen Lebens- und Krankheitsgeschichte, der alten und neuen Erfahrungen oder Konfliktsituationen und die Erarbeitung einer gesunden Sicherheit in der Selbst- und Fremdwahrnehmung.

 

Als Ziel werden u.a. festgesetzt die Entwicklung einer selbst gewählten Zukunftsperspektive und die Förderung des Selbstvertrauens in der Selbstverantwortung in allen Lebenslagen und trotz krankheitsbedingter Behinderung,  Hinführung (Versuche) zur Wiedererlangung von Arbeitsfähigkeit, Entwicklung von Freizeit- und Erholungsbedürfnissen sowie deren selbständige Umsetzung.

 

Das Personal im Betreuten Wohnen und der Tagesstätte arbeitet übergreifend in einem Team. Im engen personellen und betreuungsübergreifenden sowie differenziertem Verbund (Therapeutische Wohngemeinschaften unterschiedlicher Größe, Betreutes Wohnen,  „Paarwohnen") sind 18 Plätze im Betreuten Wohnen angeboten. Die Wohnbetreuer sind zeitweise auch in der Tagesstätte tätig, um neben der Betreuung in der Wohnung Angebote im Tageszentrum zu machen. So wird erreicht, dass Wohnverbundbewohner sich aus der Wohnung herausbewegen, um Kontakte herzustellen sowie behutsam mit Beschäftigung und Gruppenangeboten im Tageszentrum in Berührung kommen zu können. Speziell ausgebildete Sozialarbeitern werden unterstützt durch Ergotherapeuten, Krankenpflegepersonal und Zeitkräfte. Betreuungschlüssel im Betreuten Wohnen beträgt 1:2 und in der Tatestätte ergibt sich praktisch ein Verhältnis ca. 1:3 bis 1:4.

 

 

 

Das Personal nimmt verschiedene Möglichkeiten der Fortbildung in Anspruch, wie z.B. Seminare des Bezirksamtes, Vorträge im Krankenhaus oder auch weiterbildende Maßnahmen. Es finden regelmäßige Team-Sitzungen und Supervisionen statt. Leider konnte ich daran nicht teilnehmen, da sie immer am Mittwoch, d.h. unserem Schultag, eingeplant gewesen sind.

 

 

Schwerpunkte der Tätigkeit der Mitarbeitern sind u.a. regelmäßige Besuche durch Betreuungspersonal im Wohnort, individuelle Unterstützung, z.B. bei der Durchführung von Schuldentilgungsmodalitäten, individuelle und gruppenbezogene Angebote sowie spezielle suchtbezogene Gruppenaktivitäten mit dem Inhalt, Informationen zur Suchtproblematik nahe zu bringen, Einzelgespräche, die der Aufarbeitung der persönlichen Biographie dienen sollen sowie dem Erkennen suchtauslösender Bedingungen, konkrete Anleitung und Training bei Alltagstätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Saubermachen, Waschen, Kontoführung oder Behördengänge, Hilfestellung bei der Strukturierung des Tagesablaufes innerhalb der betreuten Wohnung und bei der Gestaltung von Freizeit und Beschäftigungszeiten. Art, Dauer und Umfang der notwendigen Hilfen richten sich immer nach den Besonderheiten des individuellen Bewohners bzw. Besuchers.

 

Die Angebote werden durch ein Wochenplan sowie feste Terminabsprachen, verbindliche Vereinbarungen strukturiert, um so eine verlässliche Beziehung zwischen Betreuern und Betreuten aufzubauen. Auf Rückfälle soll individuell eingegangen werden. Falls es notwendig ist wird eine stationäre Entgiftungsbehandlung eingeleitet.

 

In den Vormittagsstunden stehen lebenspraktische und ergotherapeutische Angebote im Vordergrund; so wird z.B. gemeinsam mit den Mitarbeitern das Mittagessen vorbe­reitet und gekocht, gebastelt u.ä.  Nachmittags finden Frei­zeit-, Sport- und Kulturangebote statt. Das Wochenprogramm wird ständig bedarfsge­recht, mit den Besuchern und Mitarbeitern, weiterentwickelt.

 

Während meiner Praktikumszeit wurde bereits angestrebt, ein Dokumentationssystem einzuführen und aufzubauen. Die derzeitigen Unterlagen, die ich einsehen dürfte, waren wenig überschaubar.   

 

1.2       Die Gruppe

 

Die Gruppe setzt sich aus einer „Kerngruppe“ regelmäßiger Besucher und einer variierenden Anzahl von unregelmäßigen Besuchern zusammen. Die Kerngruppe – hier meine ich die Besucher, die regelmäßig, d.h. täglich und für ganzen Tag, die Tagesstätte besuchen und das Angebot im vollen Umfang in Anspruch nehmen, beträgt ca. 16 Menschen, und zwar 6 Frauen und 10 Männer im Alter zwischen 35 und 75 Jahren.   Zeitweise beträgt die Anzahl der Besucher bis zu 25 Menschen.

 

Die körperliche und geistige Verfassung der Besucher ist sehr unterschiedlich, zum Teil sind die Besucher ohne bemerkbare Schädigungen oder Defizite, überwiegend sind jedoch diverse Schädigungen sichtbar, wie z.B. geistige Retardierung oder auch körperliche Schaden und Defizite.  Da bei vielen Besuchern mehrere, sowohl körperliche wie auch geistige  Erkrankungen diagnostiziert worden sind, ist eine Aussonderung der Alkoholismusbedingten Schädigungen weder möglich noch von praktischer Bedeutung.    

 

Die Gruppe organisiert sich weitgehend selbst entsprechend den Sympathien oder individuellen Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Somit sind recht unterschiedliche Konstellationen innerhalb der Gruppe, z.B. stark isolierte Außenseiter wie auch ein „hausgemachtes“ Paar zu beobachten. Auswahlkriterien bei der Bildung von Subgruppen sind z.B. Spielkenntnisse z.B. beim Kartenspiel „Schwimmen“  u.ä. 

 

Neben solchen, eher spontanen Mechanismen sind auch bewusste Auswahlmechanismen zu beobachten, die aus dem Zusammenleben innerhalb der Tagesstätte resultieren und lebensrelevante Eigenschaften als Kriterien zugrunde haben, wie z.B. Fleiß, handwerklichen Geschick, Sauberkeit usw.  Diese Kriterien werden von den Bewohnern eingesetzt, wenn es z.B. um Zusammenstellen der Koch-, Putz- oder Einkaufsgruppen geht.  Diese Tendenzen  werte ich als einen der Erfolge der Einrichtung aus, da von den Besuchern lebenswichtige Eigenschaften eines Menschen erkannt und geschätzt werden.

 

Die Mitbestimmung der Gruppe wird z.B. in den sog. „morgendlichen Runden“, d.h. einem kurzen Gruppengespräch beim Tagesbeginn realisiert. Außerdem finden jeden Montag eine sog.  „Vollversammlung“ und jeden Freitag eine sog. „Generalversammlung“  statt, bei welchen u.a. der Ablauf der Woche besprochen und festgehalten wird. Versammlungen werden immer von einem Personalmitglied geleitet.

 

Während meiner Praktikumszeit wurde auch angestrebt, sog. „Arbeitsgemeinschaften“ zusammenzustellen, die sich aus ca. 3-5 Besuchern zusammensetzen sollten und z.B. wöchentliche Ausflüge ins Kino, Museum u.a. zu planen und vorzubereiten.

 

 

2          Ausführungen zur Praktikumsaufgabe

 

2.1               Erklärung der Praktikumsaufgabe

 

Ich habe mir das Thema die Rückfallsituationen und deren Verarbeitung sowie Vorbeugung in der Tagesstätte ausgewählt. Als Ziel habe ich mir festgesetzt herauszufinden, ob und wie in der Einrichtung mit den Rückfallsituationen gezielt umgegangen wird, ob eine Vorbeugung und eine Verarbeitung und mit welchem Erfolg stattfinden und ggf. welche Vorschläge oder Mitwirkungen eines Heilerziehungspflegers möglich sind. Meine Betätigung hat mir den notwendigen Hintergrund geboten, um die Gespräche mit einigen Besuchern und mit den Personalmitgliedern durchzuführen und  auch das Verhalten der Besucher zu beobachten. 

 

Mit dem Thema Sucht bin ich vertraut, weil ich selbst betroffen bin und im Rahmen meiner Therapie mir sehr umfangreiche Informationen angeeignet habe. Außer einer Reihe von Vorträgen zur Suchtproblematik in einer Entwöhnungsklinik habe ich auch einige Fachbücher zu diesem Thema gelesen. Hinzu kommt meine persönliche Erfahrung mit dieser Krankheit.

 

2.2       Meine Tätigkeit   

 

Ich bin im Bereich der Tagesstätte tätig gewesen. Nach einer Einführungsphase habe ich abwechselnd dort bei allen Angeboten mitgewirkt, und zwar:

 

-          Anleitung des Gedächtnistrainings ( Spiele: „Land, Stadt, Fluss“; Wortspiele)

-          Anleitung der Gedächtnis- und Konzentrationsübung  am PC (Programm „CogPack“)

-          Anleitung der Ergotherapiestunden (Malen, Nähen von Osternhasen aus Stoff)

-          Mitwirkung beim Ausflügen

      (Ausstellung der Miniaturen in Borsig-Werken, Botanischer Garten, Tiergarten u.a.)

-          Mitwirkung an Vorbereitung der Mahlzeiten/Kochen als therapeutische Maßnahme

-          Gemeinsames Frühstücken mit den Besuchern

-          Teilnahme an Voll- und Generalversammlungen der Besucher

-          Teilnahme an wöchentlicher „Fallbesprechung“ durch das Team

-          Teilnahme am gemeinsamen Kegeln

-          Teilnahme an Spielen, wie Kartenspiele und Gesellschaftsspiele

-          Gemeinsames Verbringen der Pausen zwischen den Angeboten

-          Teilnahme an einem Seminar des Bezirksamtes Schöneberg

       Fachgruppe Sucht  zum Thema „Case Management“  

 

 

Bei Gedächtnisspielen, die mit ca. 8 Besuchern durchzuführen gewesen sind und  1 Stunde gedauert haben, ist es meine Aufgabe gewesen, das Spiel vorzubereiten  und anzuleiten. Gleichzeitig habe ich aber auch mitgespielt. Beim PC-Training mittels des Programms „Cog Pack“  habe ich die Aufgabe gehabt, den jeweiligen Besucher die Aufgabe und die Regeln zu erklären und den Ablauf zu überwachen sowie das Endergebnis in die Akte einzutragen. Bei der Ergotherapie habe ich mitgebastelt und auch Gespräche mit den Besuchern entwickelt. Die Ausflüge – Spaziergänge, ggf. mit Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten  oder Ausstellungsbesuche  - sind vom Personal vorbereitet gewesen aufgrund der Vorschläge der Besucher. Meine Teilnahme beinhaltete das Mitmachen und eine Unterhaltung unterwegs. Die Zubereitung von Mahlzeiten ist von einer Arbeitsgruppe allein durchgeführt worden, wobei ich mich sehr zurückgehalten habe und es als Gelegenheit zum Gespräch genutzt habe.  Die Versammlungen der Besucher haben für das Personal lediglich die Rolle des passiven Zuhörers vorgesehen ggf. mit kurzen organisatorischen  Besprechungen. Bei wöchentlichen Fall-Besprechungen durch das Team  habe ich mich - nach einigen Versuchen meinen eigenen Beitrag einzubringen – eher passiv verhalten, um den  bevorzugten, stereotypen Ablauf nicht zu stören.  Das Kegel und die verschiedene Spiele, wie auch gemeinsames Frühstücken und die Pausen zwischen, haben die Möglichkeit geboten, sich besser kennen zu lernen und sich in lockerer Atmosphäre zu unterhalten.  Die Teilnahme am Seminar im Bezirksamt Schöneberg hat mir einen kleinen Einblick in die Zusammenarbeit verschiedenen Institutionen und Organisationen ermöglicht.

 

Die o.g. Mitwirkung bzw. Teilnahme hat mir außer zahlreichen neuen Erfahrungen und Erkenntnissen  auch zwei Vorteile bezüglich meiner Praktikumsaufgabe verschafft: Ich konnte anhand des Engagements und des Verhaltens des jeweiligen Besuchers seine momentane Stimmung und Verfassung beobachten und in der Atmosphäre gemeinsamer Arbeit oder Spiels bzw. während des Ausfluges lockere und offene Gespräche führen

 

Ich habe es auch stets versucht, von der ansonsten in der Einrichtung gepflegten Unterscheidung zwischen dem Personal und den Besuchern abzusehen und mich auf einer Ebene mit den Besuchern zu stellen. Das ist zwar von einem Teil des Personals etwas kritisch eingeschätzt, hat mir aber im Endeffekt sehr geholfen. Ich konnte die störende Barriere weitgehend abschaffen und Offenheit und Ehrlichkeit in Gesprächen erreichen. Ich habe auch von meinem inzwischen verarbeitetem Suchtproblem erzählt und somit haben die Gespräche zum Teil auch den Charakter eines Erfahrungsaustausches angenommen, was ich als sehr nützlich empfunden habe.

 

Ähnlich habe ich mich bei diversen Betätigungen verhalten, indem ich mich nicht als Anleiter dargestellt habe, sondern dem jeweiligen Besucher auch die Möglichkeit geboten habe, seinen Können und Wissen mir vorzuführen.  Auch diese Vorgehensweise hat zum Vertrauen und Offenheit beigetragen.

 

Ich muss noch bemerken, dass mein Handeln nicht ganz den Wünschen bzw. Einstellungen einiger Personalmitglieder entsprochen hat. Zum Teil haben sie es für sogar Gefährlich gehalten, die Distanz abzuschaffen oder Gespräche zu führen, die über banale Tagesprobleme hinausgehen. Als Grund für ihre Einstellung haben sie die Sorge geäußert, dass „so was ausufern kann und man es nur sehr schwer unter Kontrolle wieder bekommt“ u.ä.

 

Es übersteigt erheblich den Rahmen dieses Berichtes, alle Observationen und mehrere Besucher zu beschreiben, ich möchte daher mich auf zwei Beispiele beschränken. 

 

2.3       Beispiel: Meine Beobachtungen der Besucher Frau H. und Herr G.

 

2.3.1     Frau H. ist ca. 53 Jahre alt, sie ist arbeitslos, bezieht Sozialhilfe und lebt allein in eigener Wohnung, hat einen erheblich jüngeren Freund, der sie unregelmäßig besucht. Sie hat eine Tochter zu der sie keinen Kontakt hat. Sie hat keine Berufsausbildung und hat zuletzt vor ca. 10 Jahren als Aushilfe in einer Krankenhaus-Küche gearbeitet. Frau H. ist Alkoholikerin und Cannabisabhängig. Die Tagesstätte besucht Frau H. seit ca. 4 Jahren und ist in dieser Zeit mehrmals mit Alkohol und Cannabis rückfällig gewesen.

 

Sie ist weitgehend selbständig bezüglich der Lebensführung, kann sich jedoch nicht um amtliche u.ä. Angelegenheiten kümmern. Körperlich weist sie bereits Anzeichen der Polyneuropathie auf, was besonders am Gang und an der Funktion der rechten Hand bemerkbar  ist. Geistig ist sie ansprechbar und fit, kann sich gut verständigen und in angenehmer, freundlicher Weise unterhalten. Sie wirkt offen und ehrlich, ihr ist bewusst, dass sie abhängig ist und, dass der Konsum der Suchtmittel für sie schädlich ist. Sie scheint emotionell wenig belastbar zu sein und regt sich bei Bagatellproblemen auf. Während meiner Praktikumszeit ist Frau H. rückfällig geworden, in dem sie Cannabis geraucht und Wein getrunken hat.

 

Während der Ergotherapie hat Frau H. am liebsten Bilder ausgemalt, was sie auch schon sehr gut gekonnt hat. Neuen Sachen gegenüber ist sie eher verschlossen gewesen, ihr hat es erheblich gemangelt an Selbstsicherheit und Selbstvertrauen. Die ihr bereits bekannte Aufgaben hat sie jedoch gern und geduldig ausgeführt.

 

Wie ich nachhinein feststellen konnte, hat Frau H. einige Tage vor dem Rückfall eine depressive Stimmung gehabt, hat viel über Probleme und Sorgen gesprochen, die sie für schwer überwindbar gehalten hat. Ihre Leistung hat sichtbar nachgelassen, wobei sie als Grund Kopfschmerzen oder Müdigkeit angegeben hat.

 

Einige Tage nach dem Rückfall habe ich mit Frau H. darüber gesprochen. Sie konnte nicht erklären, warum sie rückfällig gewesen ist, hat aber die Umstände beschrieben. Sie hat Besucher gehabt, die ihr Cannabis angeboten haben. Den Wein hat sie zwei Tage später schon allein gekauft und getrunken.  In beiden Fällen hat sie „sich nichts gedacht“ und einfach gehandelt, indem sie die angebotene Cannabis-Zigarette angenommen hat bzw. zum Laden um die Ecke gegangen ist, um Wein zu kaufen.

 

Über den Rückfall ist Frau H. traurig gewesen, wobei sie jedoch eher ratlos gewirkt hat und vom Rückfall wie von einem von ihr unabhängigen Geschehen und nicht von ihrer eigener Entscheidung und Handlung gesprochen hat: „ es ist passiert“, „ es kam“ u.ä.

 

Mangels überschaubaren und ausführlicheren Dokumentation ist es leider nicht möglich gewesen, zu überprüfen, ob und ggf. welche Änderungen z.B. beim Gedächtnistraining oder PC-Training bei Frau H. vor dem Rückfall aufgetreten sind.

 

2.3.2     Herr G. ist Alkoholiker, 68 Jahre alt, Rentner und lebt allein in eigener Wohnung. Er hat eine große Familie, aber kaum Kontakte zu ihr.  Herr G. hat auch keine Freunde und seine einzige Leidenschaft ist eine große Briefmarkensammlung, die er an fast jedem Wochenende ordnet und betrachtet. Herr G. hat mehrere Jahre als Montagearbeiter gearbeitet, stets auf Reisen, teilweise im Ausland. Als beste Zeit seines Lebens bezeichnet er seinen Aufenthalt auf Madagaskar, wo er ein Haus hat, wobei einer der Grunde ist es, dass Alkohol dort sehr billig gewesen ist und er konnte sich dort auch nahezu alles leisten, einschl. Bedienung und Haushaltshilfen. 

 

Herr G. ist bedingt selbständig bezüglich der Lebensführung, er verwahrlost in Phasen des Trinkens und benötigt ständige Aufsicht und beim Rückfall medizinische Hilfe. Herr G. ist durch seinen Alkoholkonsum körperlich und geistig erheblich beschädigt, hat epileptisches Leiden (Anfälle) und im Gespräch wirkt zuerst sehr unruhig und verhält sich sehr verschlossen, obwohl höflich. Nach einer längeren Phase des Kennenlernens und bei behutsamer Gesprächsführung entwickelt sich Herr G. zu einem sehr angenehmen  Gesprächspartner und erzählt sehr gern und ausführlich z.B. von seiner Briefmarkensammlung oder auch aus seinem Leben. Seine Stimmung schlägt jedoch sehr schnell um, wenn z.B. eine Störung durch Dritte stattfindet oder Themen angesprochen werden, die ihm unangenehm sind. Er zieht sich dann zurück und wirkt geistig abwesend und verschlossen.

 

In der Ergotherapie hat sich Herr G. vorgenommen, ein sehr aufwändiges und kompliziertes Bild auszumalen, was sehr viel Geduld und Genauigkeit benötigt. Was Feinheiten betrifft, ist eine Ähnlichkeit dieses Bildes mit Briefmarkenbildern nicht zu übersehen. Seine Arbeit hat Herr G. gern und mit viel Geduld und Ausdauer ausgeführt. Er reagierte sehr zufrieden auf Lob und hat gern die technische Details der Ausführung erklärt, wobei er sichtlich „aufgetaucht“ ist. Ähnlich hat er sich bei Gesprächen über Briefmarken verhalten. Ich habe es dazu genutzt um Gespräche anzubannen und dann in einer so entstandenen lockeren Atmosphäre mit ihm auch über andere Themen zu sprechen.

 

Herr G. ist während meiner Praktikumszeit zwei Mal rückfällig gewesen, jeweils mit einer Entgiftung im Krankenhaus. In der letzten Woche hat er einen epileptischen Anfall gehabt, wonach er sich mehrere Stunden nicht erholen konnte (andauernde Desorientierung) und ist daher zum Krankenhaus gebracht worden, wo er auch zuerst geblieben ist.  Nach Aussage des Personals handelt es sich dabei nicht um einen Krampfanfall in der Entzugsphase sondern um Folgen einer festgestellten Hirnschädigung.

 

Für Herrn G. weicht vom Thema Alkoholkonsum bzw. Rückfall ab und scheint darüber nicht sprechen zu wollen. Seine ausweichende Aussagen: „ Was soll man noch dazu sagen?“ oder „Ist schon alles gesagt worden“ u.ä. wirken als Resignation und Ausdruck der Ratlosigkeit.

 

Wegen der Häufigkeit der Rückfälle ist die Zeit des Praktikums leider zu kurz gewesen, um Herrn G. in etwas mehr differenzierten Phasen erleben zu können. So konnte ich z.B. auch nicht erkennen, ob und wie sich die Gesprächsbereitschaft Herr G. verändert, ob er zu mehr Verschlossenheit oder eher zu mehr Offenheit neigt, oder ob und wie seine Leistungsfähigkeit, Geduld oder Ausdauer sich vor dem Rückfall verändern.

 

2.4       Reaktionen auf die Rückfälle in der Tagesstätte.

 

Die Rückfälle sind in der Generalversammlung der Besucher, die immer freitags stattfindet, als einer der Tagesordnungspunkte angesprochen und von einer Besucherin mitprotokolliert worden.

Die Thematisierung ist beschränkt auf eine Aufzählung der Rückfälle der vergangenen Woche, wobei entweder die Besucher sich zu Rückfall bekannt haben oder – bei Abwesenheit der Besucher - sind vom Personal solche Vorfälle genannt worden.

 

2.4.1     Beobachtung - Reaktionen auf eigenen Rückfall

 

Die Reaktion ist auf eine kurze Erklärung des Betroffenen gegenüber der Gruppe beschränkt gewesen.  Eine ausführlichere Auseinandersetzung hat nicht stattgefunden.

 

2.4.2     Beobachtung - Reaktionen der Besucher auf Rückfall des Anderen

 

Der Gruppe ist in der vom Personalmitglied geleiteten Generalversammlung kein Platz für eine Reaktion auf den Rückfall des Anderen geboten worden.  Demzufolge ist auch außerhalb der Versammlung darüber nicht ausführlicher gesprochen worden und die Reaktionen sind auf Verständnis beschränkt worden. Eine Verarbeitung durch die Gruppe hat nicht stattgefunden, es sind keine Rückmeldungen möglich gewesen, wie z.B. Trauer, Sorge, Enttäuschung oder Wut.

 

2.4.3     Beobachtung - Reaktionen des Personals auf die Rückfallsituation

 

Die Reaktion des Versammlungsleiters ist auf kurze, objektive Feststellungen beschränkt worden.

Eine emotionelle Verarbeitung hat nicht stattgefunden.

 

2.4.4     Gespräche mit Personalmitgliedern zum Thema Rückfall

 

In Gesprächen mit den Personalmitgliedern ist von ihnen überwiegend die Meinung vertreten, dass die Rückfälle unumgänglich sind. Oft habe ich auch Aussagengehört, wie:  „Die Besucher seien ohnehin schon sehr beschädigt durch Alkoholkonsum, haben dazu meistens sog. „Doppeldiagnosen“ und eine Änderung des Verhaltens wäre nicht zu erwarten.“

 

Eine Verarbeitung der Problematik in der Gruppe wäre nach diesen Aussagen strickt auszuschließen, da die Tagesstätte keine Selbsthilfegruppe ist. Angeblich bestünde auch die Gefahr, dass etwaige Neuheiten „ausufern“ könnten und man „die Gruppe nur schwer unter Kontrolle wiederbekommt.“

 

2.4.5     Zusammenfassung und Vorschläge

 

Ich habe im Rahmen meiner Praktikumsaufgabe mehrere Besucher in verschiedenen Situationen beobachtet und zahlreiche Gespräche mit den Besuchern sowie dem Personal durchgeführt.  Meine Feststellungen beschränken sich auf den Bereich der Tagesstätte. Dagegen kann ich über die Vorgehensweise in vernetzten Wohngemeinschaften sowie bei den Besuchen des Personals in Wohneinrichtungen habe ich keine Erfahrungen und kann  daher keine Aussage treffe.

 

Die Rückfälle gehören zur Normalität der Tagesstätte und werden sowohl vom Personal wie auch von den Besuchern auch als solche lediglich zu Kenntnis genommen.  Auf die Vorphase, insbesondere die Veränderungen des Wesens- oder der Stimmung wird wenig oder überhaupt nicht geachtet. Ebenso eine nachträgliche Verarbeitung des Rückfalls in der Gruppe findet praktisch nicht statt.

 

Lt. Konzept der Einrichtung ist „die Tagesstätte eine lebensbegleitende, versorgende Einrichtung, sie ist keine therapeutische oder rehabilitative Ein­richtung“. Dem widerspricht aber nicht, dass die Möglichkeiten, die sich  aus der Situation ergeben, genutzt werden können und sollen, um den Rückfällen vorzubeugen und die Rückfallumstände zu verarbeiten.

 

Im Gegensatz zu anderen Behinderungen, deren Ursachen meistens in der Vergangenheit liegen, stellt der Konsum von Suchtmitteln, die die Ursache der gesundheitlichen Schädigungen der Besucher sind, eine erneute, negative Beeinflussung der Gesundheit des Betroffenen durch den gleichen Faktor, welcher bereits die Ursache seiner Behinderung ist .

 

Diesem Konsum nicht mit allen verfügbaren Mitteln vorzubeugen bedeutet, den Kranken lediglich die Symptome zu mildern und die eigentlichen Ursachen seiner Krankheit nicht zu bekämpfen bzw. zu beseitigen. Eine Verschlechterung ist in solchen Umständen unvermeidlich.

 

Nach meiner Auffassung könnte es u.a. durch folgende Maßnahmen geschehen:

 

-          Beachten der Stimmung und Verfassung der Besuchern, herausfinden der Individuellen

      Indikatoren bzw. Vorboten des anstehenden Rückfalls;

-          Berücksichtigung der emotionellen Aspekte;

-          Auffangen von Stimmungsumbrüchen und Depressionen bzw. Unruhen der Besucher,

      die Vorboten des Rückfalls sein könnten;

-          thematisieren des Problems in der Gruppe;

-          Erfahrungsaustausch in der Gruppe

-          Ausarbeiten von sog. individuellen Krisenpläne für den Fall eines „Sucht-Drucks“

      (Was kann ich machen, wenn der Sucht-Druck kommt, an wen kann ich mich wenden, wohin gehen? usw. )

-          Verarbeitung der Rückfallsituationen in individuellen und Gruppengesprächen

 

Ich kann mir vorstellen, dass ein Heilerziehungspfleger in der Tagesstätte sehr gut mitwirken könnte, wobei eine ergänzende Fortbildung zum Thema Sucht von Vorteil gewesen wäre. Diese Mitwirkung könnte sowohl eine Mitarbeit bei vorhandenen Angeboten wie auch z.B. Aufbau und Pflege einer persönlichen Beziehung zu einem Besucher und insbesondere Mitwirken bei der Rückfall-Vorbeugung oder auch Arbeit mit der Gruppe beinhalten. 

 

3.         Meine Reflektion

 

Im Gegensatz zu meinem ersten Praktikum ist es für mich keine leichte und angenehme Zeit gewesen. Ich habe das Gefühl gehabt, dass in der Tagesstätte eine trügerische Scheinwelt aufgebaut wird, wo alle ihre Rollen spielen zu Zufriedenheit der Anderen und zu eigener Ruhe und das Wesentlichste – die Ursache aller Not, d.h. Konsum vom Alkohol  - verschwiegen, bagatellisiert oder im Gespräch gemieden wird.

 

Ich habe auch eine Teilung in zwei Lager gespürt: das Personal und die Besucher, wobei eine leichte, gegenseitige Missachtung oft nicht zu übersehen gewesen ist. Ich habe es bevorzugt, mich anstatt an die ungeschriebenen Regeln der Distanz zu halten,  zu versuchen, möglichst offene und herzliche Beziehungen aufzubauen. Zum einen hat man dadurch profitiert, dass ich das Vertrauen einiger Besucher gewonnen habe, zum anderen habe ich aber das Gefühl gehabt, dass einige Personalmitglieder unzufrieden sind.

 

Meine Versuche, über meine Beobachtungen oder Überlegungen zu berichten haben eher kein offenes Ohr gefunden. Vielmehr haben sich die Mitarbeiter meistens aus solchen Gesprächen schnell zurückgezogen. Erst zum Schluss der Praktikumszeit habe ich die Möglichkeit gehabt, einige meiner Überlegungen vorzutragen.

 

Ich habe die Rückfälle als sehr dramatische Situationen empfunden. Mich hat es daher auch sehr traurig gemacht, dass diesem Problem so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es ist mir auch nicht leicht gewesen, am Tagesablauf teilzunehmen und so zu tun, als wäre die Welt vollkommen in Ordnung, wenn jemand erneut im Krankenhaus auf der Entgiftungsstation „gelandet“ ist.  Die ganze Zeit schwebte mir im Kopf auch der Gedanke, dass die Einrichtung bzw. das Personal sich eigentlich Co-Abhängig verhalten und dem Suchverhalten einiger Besucher angepasst hat. Es sind Bedingungen geschaffen worden, wo die Alkoholkranken versorgt werden, wo sie sich um sich selbst wenig kümmern müssen, wo sie sogar Spaß und Unterhaltung finden und somit mit den Folgen ihrer Sucht nicht konfrontiert werden. Ihr Hauptproblem, die Sucht und daraus resultierende Rückfälle sind zur Normalität, zu einem unangenehmen aber hinzunehmenden und von der Umgebung akzeptierten Element ihres Lebens geworden. Vom Personal ist die Sucht als ein festes Merkmal der Besucher anerkannt, mit dem man nicht zu kämpfen hat.

 

Meine Feststellungen beziehen sich lediglich auf das Geschehen in der Tagesstätte und einen Zeitraum von 10 Wochen und sind sicherlich zu bescheiden, um angemessen und objektiv beurteilen zu können. Ich habe lediglich versucht, mir ein Urteil aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zu bilden und hier wiederzugeben.

 

Motto:

 

Sieben Jahre wollt kein Schritt mir glücken.

Als ich zu dem Großen Arzte kam.

Fragte er: Wozu die Krücken?

Und ich sagte: Ich bin lahm.

 

Sagte er: Das ist kein Wunder,

Sei so freundlich, zu probieren!

Was dich lähmt ist dieser Plunder.

Geh, fall, kriech auf allen vieren!

 

Lachend wie ein Ungeheuer

Nahm er mir die schonen Krücken,

Brach sie durch auf meinem Rücken,

Warf sie lachend in das Feuer.

 

Nun, ich bin kuriert: ich gehe.

Mich kurierte ein Gelächter,

Nur zuweilen, wenn ich Hölzer sehe,

Gehe ich für Stunden etwas schlechter.

 

( Brecht „Die Krücken“)