2. Kognitivistische Theorien

 

Die kognitivistische Psychologie hat sich besonders der Entwicklung des Denkens und Erkennens, der Motivation und der Handlung zugewandt. Kognitivisten glauben, daß dem Mensch ein Drang nach Weiterentwicklung und Erkenntnisgewinn angeboren ist. Insbesondere jüngere Menschen würden sich mit ihrer aktuellen Situation nicht zufrieden geben, sondern über den jeweils erreichten Kenntnisstand hinaus, immer nach neuen Erkenntnissen suchen. Diese Neugier und das Bedürfnis nach Abwechslung würde alle Entwicklungsbereiche betreffen, neben dem Denken z.B. auch die Motorik. So würde z.B. das Interesse an Gegenständen in der Umgebung das Kriechen, das Aufrichten und das Greifen fördern.

 

Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist Jean Piaget. Er geht in seinem entwicklungspsychologischen Ansatz von einer Interaktion zwischen Organismus und Umwelt aus. Piagets Untersuchungen ergaben, daß die Entwicklung des Kindes allgemeinen Gesetzmäßigkeiten folgt, die durch die Interaktion mit der Umwelt für jedes Individuum eine spezifische Entwicklungsgeschichte besitzt. In unterschiedlichen Altersstufen herrschen dabei unterschiedlichen Formen des Denkens vor.

 

Die kognitive Entwicklung umfasst nach Piaget vier Hauptstadien, wobei jedes Stadium die Voraussetzung für die Entwicklung der darauf folgenden bildet:

 

-           vorsprachliche oder sensomotorische Phase -    von Geburt bis 2 J.

-           Stadium der voroperatorischen Denkens (Kindergartenalter) 2-6 J.

-           Stadium der konkreten Denkoperationen und interindividuelle Beziehungen (Grundschulalter)

-           Stadium der formalen Operationen

 

Den Ursprung der geistigen Entwicklung sieht Piaget im Erwerb von Handlungsschemata während der sensomorischen Phase. Die erfolgreiche Vollendung dieser Phase ist somit die Voraussetzung und Fundament der geistigen Entwicklung und nimmt bei Piaget eine zentrale Stellung ein.

 

Eine Hauptkritik an Piaget bezieht sich darauf, daß er der Umwelt einen zu geringen Einfluß beinußt. Dem zufolge macht das kindliche Denken eine. gesetzmäßige Entwicklung durch. Die Umwelt liefert das Material, mit dessen Hilfe die Entwicklung stattfinden kann. Piaget glaubt also nicht an reine Reifung, unabhängig von dem, was die Umwelt bietet. Die Umweh ist zwar notwendig, aber reifende Denkprozesse bestimmen selbst, was aus ihr gebraucht wird. Die Umwelt kann ein Kind nicht von sich aus auf andere Gedanken bringen, die sein momentan vorherrschendes Denkmodell nicht zulässt.

 

Die wichtigsten Elemente der Entwicklungstheorie von Piaget:

 

-          Alle lebenden Organismen haben die angeborene Tendenz, einerseits Umweitgegebenheiten an ihren Organismus und andererseits den Organismus an die Erfordernisse der Umwelt anzugleichen.

 

So wird zum Beispiel vom Kleinkind ein Karton als Auto verwendet, was eine Angleichung von Gegebenheiten der Umwelt an die eigenen Handlungsmöglichkeiten bedeutet; bei der Differenzierung aller Vierbeiner in verschiedene Tierarten - nicht alle Vierbeiner sind .“Wau-Wau" –gleicht sich das Kind den Umwelterfordernissen an.

 

Diese gegenseitige Anpassung zwischen Organismus und Umwelt bezeichnet Piaget  als  Adaptation.

 

-          Ebenso besitzen lebende Organismen die angeborene Tendenz zur Organisation, wie beispielsweise die Fähigkeit zu strukturieren, Ganzheiten zu bilden, zu ordnen, zu systematisieren.

 

-          Eine Form der Organisation ist die Einordnung und Verarbeitung von Umwelteindrücken, die nach Piaget mit Hilfe von kognitiven Schemata geschieht.

 

Ludwig, zweieinhalb Jahre alt, sieht einen Hund. Die Mutter sagt zu ihm: ,Schau, das ist ein Wau- Wau!". Nun kann es möglich sein, daß Ludwig das Schema bildet: Alte Vierbeiner sind Wau-Wau."

 

Weitere Beispiele für kognitive Schemata:

 

„Löffel fallen lassen bedeutet Geräusche erzeugen." ,Auf die heiße Herdplatte greifen erzeugt Schmerz."  ,Uniformierte Menschen sind Polizisten."

 

Kognitive Schemata sind Einrichtungen des Organismus, die eine Einordnung von Umwelteindrücken ermöglichen und mit deren Hilfe das Individuum Erfahrungen systematisieren kann.

 

-          Das Individuum verbindet verschiedene Schemata miteinander, wodurch ein befriedigender

Austausch mit der Umwelt möglich wird.

 

So ermöglicht zum Beispiel die Verbindung der Schemata ,fragen', ,zuhören', ,antworten', ,mitteilen' usw. eine Konversation.

           

-          Organisierte Verbindungen von Schemata bezeichnet Piaget als Strukturen.

 

"Mit einem einzigen Schema kann ein Individuum nicht viel zustande bringen, und mit einer unverbundenen Menge von einzelnen Schemata ist nur wirre Aktivität möglich. Erst die geordnete Verbindung von verschiedenen Schemata ermöglicht einen befriedigenden Austausch mit der Welt"

 

-          Die gegenseitige Anpassung zwischen Organismus und Umwelt besteht nach Piaget in der

Herstellung eines Gleichgewichtszustandes zwischen Individuum und Außenwelt. Das Individuum möchte sich in Einklang mit der Umwelt empfinden. Dieses Streben nach Gleichgewicht ist ein biologisches Prinzip der Entwicklung. Die Herstellung eines Gleichgewichtszustandes ist dann erforderlich, wenn der Mensch in ein Ungleichgewicht gerät. Dies kann grundsätzlich eintreten, wenn sich die Anforderungen und Bedingungen der Außenweit verändern und die Umwelt mit den vorhandenen kognitiven Schemata nicht mehr bewältigt bzw. eingeordnet werden kann.

 

Ludwig, der das Schema gebildet hat: "Alle Vierbeiner sind Wau-Wau", kommt nun mit seiner Mutter auf die Wiese hinaus, wo eine Kuh weidet. Aufgrund seines Schemas deutet Ludwig auf die Kuh und sagt: Wau-Waut". Die Mutter verneint jedoch. Das Kind gerät in einen Ungleichgewichtszustand, weil sich die Anforderungen der Außenwelt verändert haben und die Umwelt mit den vorhandenen kognitiven Schemata nicht mehr bewältigt werden kann.

 

Ein Ungleichgewichtszustand kann auch zwischen verschiedenen Schemata sowie zwischen Schema und Struktur auftreten. Doch auch dieser wird durch Begegnungen und Erfahrungen mit der Außenwelt verursacht.

 

Ein Beispiel für ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Schemata ist, wenn ein Kind die zwei Schemata gebildet hat "Alle Gegenstände fallen nach unten" und "Eine Feder fliegt nach oben". August Flammer (1988) führt als Beispiel für ein Gleichgewicht zwischen Schema und Struktur an, wenn jemand im Zug zurück zum Speisewagen geht und kein Problem darin sieht,  dass er sich im fahrenden Zug dennoch insgesamt vorwärts bewegt.

 

Die Anpassung an die Veränderungen der Außenwelt geschieht nach Piaget mit Hilfe zweier verschiedener gegenläufiger Prozesse, der Assimilation und der Akkomodation. Dieser Prozeß findet immer dann statt, wenn das Kind auf Personen, Objekte oder Sachverhalte aus der Umwelt mit früher gebildeten Schemata reagiert.

Ludwig paßt die Umwelt seinem Schema an, indem er auf die Kuh deutet und meint: „Wau-Wau". Er paßt alle Vierbeiner seinem Schema an.

 

 

Assimilation

 

Das Kind verarbeitet seine Umwelteindrücke mit Hilfe der schon vorhandenen kognitiven Schemata. Dabei paßt es seine Umwelteindrücke seinen schon vorhandenen Schemata an. Diesen Vorgang bezeichnet Piaget als Assimilation.

 

Assimilation ist ein  Prozess der Anpassung der Umwelt an den Organismus, an bereits bestehende kognitive Schemata.

 

 

Akkomodation

 

Fällt nun das Kind aufgrund neuer Erfahrungen in ein Ungleichgewicht, so ist es gezwungen, vorhandene Schemata zu korrigieren, abzulegen bzw. neue hinzuzunehmen.

 

Ludwig kann mit seinem Schema Alle Vierbeiner sind Wau-Wau" seiner Umwelt nicht mehr gerecht werden, er fällt in ein Ungleichgewicht. Um wieder einen Gleichgewichtszustand herzustellen, ändert er sein Schema (zum Beispiel „Alle kleinen Vierbeiner sind Wau-Wau, alle großen Vierbeiner sind Muh-Muh"), er paßt sich der Umwelt an.

 

Diesen Angleichungsprozeß des Individuums an die Umweltbedingungen nennt Plaget

Akkomodation.

 

Akkomodatlon ist en Prozeß der Anpassung des Organismus; an die Umwelt.

 

Dieser Vorgang findet Immer dann statt, wenn sich ein Mensch aufgrund neuer Erfahrungen in einem Ungleichgewichtszustand befindet und die Umwelt mit den vorhandenen Schemata nicht mehr eingeordnet werden kann.

 

Assimilation und Akkomodation sind zwei gegenläufige Prozesse, die von vorneherein zusammenspielen, einander ergänzen und die Entwicklung voranschreiten lassen. Bei Auftauchen einer neuen Situation wird erst versucht, die neuen Informationen an sich, an bereits vorhandene Lösungsmöglichkeiten anzupassen. Der jedoch auf diese Weise die Situation nicht bewältigt werden kann und das Individuum deshalb In einen Ungleichgewichtszustand fällt, werden die Lösungsmöglichkeiten verändert, abgelegt bzw. neue hinzugenommen. Auf diese Weise kann wieder ein Gleichgewicht hergestellt werden. Nun kann ein nächster Assimilationsvorgang unternommen werden, der wiederum einen Akkomodationsprozeß erforderlich macht, sobald das Individuum In ein

neues Ungleichgewicht fällt.

 

Ludwig, zweieinhalb Jahre alt, sieht einen Hund. Dle Mutter sagt zu Ihm: "Schau, das ist ein Wau. Waul". Ludwig bildet das Schema: "Alle Vierbeiner sind Wau-Wau." Nach diesem Schema handelt Ludwig in Zukunft, er hat die Information assimiliert. Auf der Weide sagt nun plötzlich die Mutter, als Ludwig eine Kuh sieht, auf sie deutet und ,Wau-Waul" schreit, "Nein, nein, das ist eine Muhl".  Ludwig kann nun aufgrund seiner vorhandenen Schemata die Situation nicht mehr bewältigen, er fällt in einen Ungleichgewichtszustand. Um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, paßt er seine Schemata der Umwelt an: „Alle kleinen Vierbeiner sind Wau-Wau, alte großen Vierbeiner sind Muh-Muh".

 

Dieses neue bzw. geänderte Schema kann Ludwig nun auf alle Kühe und Hunde erfolgreich anwenden. Bezeichnet er aber ein Pferd als  ,Muh-Muh", und wird er daraufhin von seiner Mutter entsprechend korrigiert, so entst3ht erneut ein Ungleichgewicht, das wiederum durch eine Akkomodation beseitigt werden kann.

 

Das Wechselspiel von Assimilation und Akkomodation wird so lange fortgesetzt, bis durch ihr Zusammenspiel ein Gleichgewichtszustand erreicht werden kann.

 

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